Warten? Kann ich nicht.

Manchmal lässt es sich nicht vermeiden: der Kunde muss warten. Eine brandgefährliche Situation, weil sich schnell Machtspiele entwickeln.

Warum Warten ein Schnittstellenproblem ist und wie Servicekultur die Situation rettet.

Ich stehe am Flughafen an Gate 21 und warte – wieder einmal. Auf dem Boardingpass steht 18.35 Uhr und bis 18.50 Uhr passiert nichts. Gar nichts. Ich werde, gelinde gesagt, ungeduldig… Jede Sekunde, in denen die Bodencrew am Schalter hier herumtippt und da ein wenig telefoniert, miteinander lacht und irgendwelchen Kram auf dem Tisch hin und herschiebt, während ich umsonst warte, braut sich eine dicke, schwarze Wolke dichter über mir zusammen. Und fast jedes Mal, ganz kurz bevor ich meinen Unmut kundtue, geht das Boarding dann doch los.

Klar, natürlich ist das ungesund. Natürlich wäre es viel besser, ich praktizierte am Gate Meditation, vielleicht sogar Yoga. Ich könnte auch Lieblingsbücher lesen, Menschen beobachten, mich unterhalten. Nur: das gelingt mir nicht (immer). Und Schuld ist meine Allergie.

Warten lassen – ein Machtspiel

Ich reagiere allergisch auf das Machtspiel, das sich in jedem Warten potentiell versteckt, und das ganz schrille Formen annehmen kann: Kompetenzdarstellung, Rache, Demütigung, im Extremfall Sadismus. Das Machtspiel kommt entweder von oben oder unten. Schließlich hat jeder „kleine“ Hausmeister oder Taxifahrer, jeder Security-Mitarbeiter oder Call-Center-Agent in seiner Rolle endlich die Macht, diejenigen zappeln lassen, die auf der sozialen Hierarchie oben stehen.

Und diejenigen, die oben stehen – Star-Mediziner, Edel-Architekten, Promi-Anwälte – lassen wiederum die zappeln, die von unten kommen. „Exklusiv“ kommt von „excludere“ und das heißt ausschließen. Nach dem Motto: „Ich trinke drinnen meinen Kaffee, Du sitzt draußen und musst warten. Pech!“

Es könnte ganz anders sein. Besser.

Die Engländer waren es. Sie haben das Prinzip „first come first served“ erfunden. Wer zuerst da ist, kommt zuerst dran, und niemand ärgert sich. Weil Warteschlangen gerecht sind, demokratisch, respektvoll. Und schon sieht man den Unterschied: es ist die Haltung.

Wenn ich warten muss, weil eine Menschentraube sich nicht schneller durch einen engen Durchgang zwängen kann, als sie es nun mal kann, dann macht mir das wenig aus. Wenn ich aber warten muss, weil mich jemand absichtlich warten lässt – um seine Bedeutung zu unterstreichen und meine Ohnmacht – werde ich zu Dynamit.

Was ist nun aber mit der Bodencrew? Können denn die Mitarbeiter etwas dafür, dass der Flieger nicht fertig ist? Lassen die mich absichtlich warten? Natürlich nicht! Sie spielen ein anderes Machtspiel: sie verweigern Resonanz.

Menschlich wäre es, Blickkontakt zu halten, zu informieren, um Verständnis zu bitten – vielleicht sogar mit einer Prise Humor einen Abstand zu schaffen zum übermächtigen Moloch Flughafen. So könnte jeder einzelne verstehen, warum er seine sorgfältig geplante Eigenzeit plötzlich opfern soll für ein kollektives Warten, dem er nie freiwillig zugestimmt hat.

Solange aber die Bodencrew keinen Kontakt aufnimmt, seine komplette Aufmerksamkeit vielmehr nur auf die Bildschirme, Listen und auf sich selbst richtet, gibt es keine Resonanz. Keine Menschlichkeit. Keine Schnittstelle.

Nur ich, hier, und das System, da.

Service heißt, Mensch-Momente leben. Je digitaler unsere Welt, desto mehr brauchen wir eine Servicekultur, die Kundenbrücken baut. Und sei es nur mit Blicken. Kosten entstehen keine. Es braucht nur Herz. Und Haltung.

Wenn ich das spüre – dann kann auch ich… in meinem Lieblingsbuch lesen. Ein gutes Gespräch führen. Mensch sein. Warten. Aber bitte nicht zu lange!

Wie geht es Ihnen? Können Sie gut warten?