Empathisch führen? Ja, bitte – aber richtig!

Empathie wird oft als Superkraft der Führung gefeiert. Klar, niemand möchte von einem gefühlsblinden Stinkstiefel geleitet werden, der sich wenig um das Wohlbefinden seiner Mitarbeitenden schert. Aber was ist, wenn die Zeiten ungemütlich werden? Wie jetzt? In vielen Unternehmen stehen harte Entscheidungen an, damit es überhaupt weitergeht. Deshalb frage ich mich: Gibt es eine Grenze der empathischen Führung?

Ich meine: Ja, auch in schwierigen Zeiten ist Empathie DIE Superkraft – aber nur dann, wenn sie richtig dosiert ist. Denn wer sich zu sehr auf Emotionen und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden konzentriert, läuft Gefahr, in die eine oder andere dieser Fallen zu tappen:

1. Zu viel Gefühl, zu wenig Bewegung

Natürlich sorgt empathische Führung für ein besseres Arbeitsklima. Aber wenn der Fokus zu stark auf den Emotionen liegt, kann das auch zu Stillstand führen. Man nennt es die Problemtrance – eine Art emotionaler Sumpf, in dem wir uns mit den Sorgen und Ängsten der Mitarbeitenden so stark beschäftigen, dass die Produktivität auf der Strecke bleibt. Probleme werden verstanden, geteilt, aber nicht gelöst.

2. Authentizität braucht Professionalität

Sich authentisch zu zeigen – das kann ein starkes Mittel sein, um Vertrauen zu schaffen. Klar: Wer nahbar ist, gewinnt oft die Herzen der Mitarbeitenden. Aber: Zu viel Zugänglichkeit wird schnell als Schwäche interpretiert. Niemand vertraut einem schwachen Chef – auch nicht und gerade dann nicht, wenn er seinen Job „gut meint“ aber nicht „gut macht“. Führung bedeutet, Haltung zu zeigen und zu handeln, vor allem in schwierigen Momenten. Wenn das nicht gelingt, kommt es zur Vertrauenskrise.

3. Wertschätzung ist nicht alles

Mitarbeitende wertschätzen, anerkennen und zu respektieren heißt nicht, alle ihre Ideen zu akzeptieren. Im Gegenteil: Wer seine Entscheidungen nur nach der Zustimmung und den Bedürfnissen seiner Mitarbeitenden ausrichtet, verliert den Blick für das große Ganze. Führung bedeutet auch, unangenehme Entscheidungen zu treffen, und manchmal erfordert das, Vorschläge zurückzuweisen, auch wenn sie von geschätzten Kollegen kommen. Wer dazu keine klare Haltung annimmt, auch im vermeintlich Kleinen, riskiert ein Verantwortungsvakuum – und früher oder später implodiert dann das Große.

4. Vorsicht, Coaching-Falle

Individuelles Coaching und die Förderung der Mitarbeitenden sind wunderbare Wege, um Talente zu entwickeln. Aber: Wer sich zu sehr auf das Coaching seiner Mitarbeitenden konzentriert, riskiert die eigene Überlastung und Produktivitätsverluste. Ein Unternehmen ist dazu da, Menschen zu entwickeln – und es muss gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich sein.

5. Die Stillen nicht vergessen

Engagiertes Zuhören ist wohl eines der wichtigsten Werkzeuge der Führung. Doch auch hier gilt: Zu viel des Guten kann nach hinten losgehen. Wer zu sehr auf die lauten Stimmen hört, überhört schnell die leisen, die vielleicht ebenso wichtige – wenn nicht sogar wertvollere – Beiträge liefern. Empathisch führen heißt Raum schaffen für alle relevanten Stimmen, besonders für diejenigen, die sich vielleicht nicht so leicht Gehör verschaffen.

Mit Herz und Verstand

Empathie ist DIE Superkraft der Führung. Wenn sie in Balance mit Rationalität, Professionalität und Entscheidungsstärke steht. Ein Unternehmen ist keine Wellness-Oase, sondern ein komplexes System, das klare Entscheidungen, eine klare Haltung, und eine klare Richtung braucht. Produktiv wird Empathie dann, wenn sie Entscheidungen klüger macht und umsichtiger – wer das beherzigt, führt erfolgreich, mit Herz und Hirn.

Bild: Kelly Sikkema / Unsplash