„You’ll never walk alone“
Was wir vom Bolzplatz über Teamspirit lernen können. Und von Jürgen Klopp.
„Schieß, ja, schieß, ja, Toooooor!!!“ brüllt der große Rabauke begeistert über den ganzen Bolzplatz. Der Fünfjährige, der den Ball gerade ziemlich holprig ins Tor geschippelt hat, strahlt vor Stolz. Da schnappt sich der ältere Junge den Kleinen, hebt ihn hoch, wirbelt ihn herum und jubelt, als hätte er gerade den entscheidenden Treffer in einem Champions-League-Finale gelandet. Stellt ihn zurück auf die kleinen Füße, dann, klatsch!, High Five. Wie zwischen zwei Fußballstars, die einen Moment des Triumphs teilen. Wie zwei Herzensbrüder. Dabei kannten sich die beiden gar nicht …
Die Bolzplatzszene in meiner Düsseldorfer Nachbarschaft ging mir unter die Haut. Sie passt so gar nicht in unsere Zeit mit ihrem Wir-gegen-Die-Denken, mit ihrem diffusen Alles-immer-schlimmer-Gefühl. Auf diesem Bolzplatz wird etwas gelebt, was ich sehr liebe: Eine ganz natürliche, bedingungslose Art von gegenseitigem Respekt, von Unterstützung und vor allem: von Lebensfreude. Seit ich das beobachtet habe, denke ich anders über Fußball. Vielmehr: Ich denke überhaupt mal an Fußball.
Stark sind wir nur zusammen
Eigentlich interessiert mich Fußball nur mittel. Und doch faszinieren mich die Menschen auf dem Platz – und neben dem Platz. Zum Beispiel Jürgen Klopp, der legendäre Trainer von Borussia Dortmund und FC Liverpool. „You’ll Never Walk Alone“, der inoffizielle Slogan des FC Liverpool, passt perfekt zu Klopps Philosophie: Stark sind wir nur zusammen.
Seit meinem Erlebnis auf dem Bolzplatz habe ich ein bisschen recherchiert, wie Klopp das eigentlich macht: Die Jungs auf dem Platz so führen, dass sie zusammenhalten. Das habe ich gefunden:
1. Fokus auf andere – nicht das eigene Ego
Klopp steht im Mittelpunkt, weil er leidenschaftlich ist, schlagfertig, kompetent – er steht da nicht, weil er sich in den Mittelpunkt gedrängt hätte. Das macht er nicht. Für ihn sind das Team, sind die Spieler, ihr Können und ihre Emotionen das Wichtigste. Er sagte einmal: „Es ist nicht so wichtig, was die Leute denken, wenn du kommst. Es ist viel wichtiger, was sie fühlen, wenn du gehst.“ Genau das macht Führung aus: Fokus auf Team und Motivation, nicht auf Ego und Reputation.
2. Vertrauen in die Power der Vielen – gerade dann, wenn es eng wird
„Wir haben Pfeil und Bogen, und wenn wir gut zielen, dann treffen wir das Ziel“, findet Klopp. Nur gebe es aber ein Problem: „Bayern hat eine Bazooka.“ Und schon kommt der typische Klopp-Move, Kommunikationsprofis würden es „Reframing“ nennen: „Robin Hood war ziemlich erfolgreich!“ Ich denke, von dieser Haltung können wir uns als Unternehmer und Führungskräfte etwas abschauen. Es gibt immer ein anderes Bild, eine andere Metapher, einen anderen Weg. Wenn wir gerade nicht hart kämpfen können oder wollen, dann eben smart!
3. Empathie – nicht nur Härte
Fehler sind für Klopp eine normale Begleiterscheinung von Wachstum. Ein verlorenes Spiel ist für ihn „nur eine Information“, die nützlich ist, um beim nächsten Mal weiterzukommen. Fehler sind Lernmomente. Das sagt er nicht nur so, das lebt er so. Das nimmt man ihm ab. Gut so: Auch die härtesten Teamplayer brauchen nach Niederlagen Empathie.
4. Die Welle sehen – statt nur den Ball
Eine von Klopps bekanntesten Taktiken ist das „Gegenpressing“, bei dem das gesamte Team wie eine Welle auf den Gegner zurollt. Es erfordert viel Teamplay und Bewusstsein für das große Ganze – aus schierer Notwendigkeit. „Es geht nicht darum, eine Philosophie zu haben“, erklärt Klopp. „Es geht darum, sich der Qualität des Gegners anzupassen.“ Für Führungskräfte bedeutet das: Besser nicht nur auf das unmittelbare Problem (den „Ball“) oder die eigene Spielstrategie (die „Philosophie“) schauen, sondern immer das gesamte Umfeld im Blick haben – das Team, den Markt, den langfristigen Erfolg.
5. Familie lieben – und Familie groß denken
Eine der wohl stärksten Klopp-Kompetenzen ist seine Fähigkeit, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen, ohne als Patriarch aufzutreten. Bei Liverpool hat er eine Kultur der emotionalen Verbundenheit etabliert, im Team, aber auch mit den Fans. Nach dem Motto: „Wir sind nicht allein auf diesem Planeten, und wir sollten auch nicht allein im Stadion sein.“ Genau so können Unternehmer und Führungskräfte ein Umfeld schaffen, in dem sich alle als Teil der „Familie“ fühlen: Mitarbeitende und (bitte nicht vergessen!) auch Kundinnen und Kunden.
Was wir uns vom Fußball abgucken können
Teamspirit ist viel mehr als Ertragen, dass da irgendwo noch Kollegen sind, um die man leider nicht herumkommt. Und Leadership ist mehr als das Setzen von Zielen und das Erzwingen von Ergebnissen. Langfristigen Erfolg gibt es nur mit Leidenschaft für das gemeinsame Tun, einem klugen Blick auf das große Ganze und mit einer Kultur, die auf Vertrauensvorschuss, bedingungsloser Unterstützung und unbändiger Freude an Erfolgen basiert – genauso wie es der große Junge auf dem Bolzplatz lebt, der einen fremden Fünfjährigen wie einen kleinen Bruder feiert. Das, und das wird oft vergessen, ist in der Wirtschaftswelt nicht nur „nice“, das ist notwendig. Klopp sagt es so: „Wenn die Zuschauer Emotionen wollen, Du aber Rasenschach anbietest, muss sich einer von beiden ein neues Stadion suchen.“
Quellen:
https://www.kicker.de/juergen-klopp-seine-30-besten-sprueche-992527/slideshow
https://www.planetfootball.com/quick-reads/22-jurgen-klopps-best-quotes-harry-potter-arsene-wenger-robin-hood
https://briandoddonleadership.com/2020/12/23/15-amazing-leadership-quotes-and-lessons-from-liverpool-fcs-jurgen-klopp/
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