Seminarhotel des Grauens

Gegen Service-Muff hilft Klartext! Oder: Wie wir zwischen Plastik-Ficus und psychedelischem Hotelteppichmuster vier Erfolgsfaktoren der Seminarhotellerie entdeckten.

„Hmmm“, sagte ich „Warum haben wir dieses Seminarzentrum gewählt?“ Prompte Antwort unseres Kunden: „Weil es günstig ist, viele Räume hat und nahe an unserer Zentrale liegt.“ Er sah aus dem Fenster, als könnte er sich so ein wenig vor der Nicht-Atmosphäre des Seminarhotels retten. Es war lieblos: Plastikpflanzen, Vorhänge mit psychedelischem Höllenmuster, und ich hätte mich nicht gewundert, wann man mit dem öligen Filterkaffee einen Traktor hätte betanken können. Doch viel schlimmer noch: kein Lächeln in den Gesichtern der Mitarbeitenden, keine Freude, eher Muff.

Meine Mitarbeiterin war sauer. Doch sie tat, was sie immer tut, wenn es eng wird: Sie startete den Jetzt-erst-Recht-Modus. Fokussierte sich auf ihre Seminargruppe und auf ihre Inhalte – alles andere blendete sie aus. Feedback der Gruppe: Alles super! Uff…

Und überall ein Dunst von Kohl

Dann Mittagspause. Und die nächste Enttäuschung. Nicht nur, dass der Raum genauso trostlos war wie der Rest des Seminarzentrums. Das Buffet sah aus wie das Remake eines Buffets von 1957: hier Kartoffeln, da Karotten, dort Blumenkohl. Jeweils mit Fleisch, mit Fleisch oder mit sehr totem Fisch. Als wir beobachteten, wie die Teilnehmenden lustlos in dem Essen stocherten, zogen wir die Notbremse. Mein Kunde und ich suchten das Gespräch mit der Managerin:

„Dieses Hotel ist keine Visitenkarte für unser Veranstaltungsthema Kundenerlebnis“, sagte ich freundlich, aber klar.

„Wir möchten Ihnen gerne ein offenes Feedback und Anregungen für einfache Verbesserungen geben. Bitte etablieren Sie ein zeitgemäßes Service-Erlebnis oder wir sehen uns gezwungen, alle zukünftigen Veranstaltungen umzubuchen. So ist das Erlebnis für unsere Teilnehmenden nicht stimmig mit dem, was wir vermitteln wollen.“

Beschwichtigungen, Ausweichmanöver, Rechtfertigungen – mit alldem hatte ich gerechnet, aber nicht mit dem, was dann passierte: Die Managerin hörte uns zu. So richtig! Und setzte einen Verbesserungsprozess in Gang, der uns alle komplett überraschte.

Frische statt Muff!

Das Restaurant im Wartehallen-Charme, der Teppich im Migräne-Look, die Lämpchen und Kunstdrucke im schlechten Stil der 90er. All das ließ der Hotelbetreiber weitgehend so, wie es war und fokussierte sich ausschließlich auf Customer-WOW-Experience. Bei unserem nächsten Besuch

  • fanden wir Gastgeschenke auf unseren Zimmern,
  • wir sahen überall kleine Vasen mit frischen Schnittblumen auf den Tischen,
  • in unseren Seminarpausen freuten wir uns über frischen Orangensaft und Eis
  • und über einen nagelneuen Kaffee-Vollautomaten,
  • über eine super Getränkeauswahl plus Eismaschine,
  • wir freuten uns über ein Mittagsmenu aus dem 21. Jahrhundert (jetzt auch mit vegetarischen und veganen Speisen)
  • und waren völlig von den Socken über das Hotel-Team. Die Menschen, die im Hotel vor und hinter den Kulissen arbeiteten, hatten ihre Spielfreude im Gästekontakt

Das zeigt einmal mehr: Klartext wirkt Wunder!

Performance toppt Ambiente:
unsere 4 Erfolgsfaktoren

Klar: Dass Service-Haltung mehr wirkt als Ambiente ohne Charme, das wussten wir alle schon vorher. Und trotzdem hat uns dieses Erlebnis bewegt. Wir haben im Team über diese Frage diskutiert: Was ganz genau macht ein durchschnittliches Seminarhotel zu einer großartigen Location? Vier Punkte haben wir gefunden. Servicehaltung zeigt sich via

  1. Zugewandtheit: Zuhören, Feedback ernst nehmen, sprühende Freundlichkeit und kleine Aufmerksamkeiten
  2. Lebendigkeit: Wunderbar vermittelt mit Obst, Eiswürfeln und frischen Blumen
  3. Auswahl: Flipchart oder Beamer, rustikale oder frische Küche – alles kann, nichts muss
  4. Energie: Das Leben ist zu kurz für schnarchige Menschmomente (und kalten Kaffee…)

Ja: Diese Erfolgsfaktoren funktionieren auch auf einem ästhetisch fragwürdigen Teppichmuster. Und, davon bin ich immer noch überzeugt, sie entfalten ein Vielfaches an Wirkung, wenn auch Architektur und Ambiente stimmen…

Was lieben Sie an Seminarhotels? Was finden Sie furchtbar?

Herzlich,

Ihre Sabine Hübner

P.S.: Falls Sie Ihr Service-Design optimieren wollen, fragen Sie uns gerne. Wir haben Spezialisten für dieses Thema an Bord.

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