Schuster bleib bei deinen Leisten (wenn du es dir leisten kannst)

Zwei-Stunden-Versprechen? Salat in 15 Minuten? Mittlerweile kommt fast nichts mehr so, wie versprochen. Dabei war die Quick-Commerce-Idee so märchenhaft… Was wir aus dem hausgemachten Murks bei Flink und Flaschenpost lernen können.

Es klang wie ein Märchen: Anfang 2021, Deutschland lag in tiefem Corona-Dämmerschlaf, gründete Kagan Sümer den superschnellen Lieferdienst Gorillas. Und lieferte anfangs auch nicht weniger als Zauberei: Wenige Minuten nach der Bestellung per App stand der knackige Salat vor der Tür, waren da frische Eier, kühles Bier. Kein Wunder, dass Investoren mit Milliarden kamen. Nicht nur für Gorillas, sondern auch für viele andere Dienste, von denen heute niemand mehr spricht: pleite, aufgekauft, weg. Schade! Ich war ein großer Fan der Serviceversprechen von Quick-Commerce.

Serviceversprechen? War da was?

Beispiel Flink: Ganz gleich, ob Du keinen Kaffee mehr zu Hause hast oder keine Kondome – in 15 Minuten, so versprach es Flink, ist Dein Einkauf da. Inzwischen dauert die Lieferung länger: 24 Minuten laut Stiftung Warentest, nach eigener Erfahrungen deutlich länger. Ja, klar: Das Sortiment ist ziemlich umfangreich, immerhin ist inzwischen REWE an Flink beteiligt. Aber warum eigentlich? REWE hat doch einen eigenen Lieferdienst! Und Flink war gut, weil es ein schneller Spezialist war und kein langsamer Vollsortimenter. Kurz: Flink hat die bestechende Idee seines Geschäftsmodells aus den Augen verloren – „flink“ zu sein.

Ähnlich Flaschenpost: Innerhalb von 120 Minuten, so das Versprechen, stellt Dir der Flaschenpostfahrer Mineralwasser, Bier, Saft, sogar Milch und Snacks vor die Tür. Auch in den vierten Stock. Auch ohne Aufzug. Das Leergut schleppt er runter und nimmt es mit. Fertig! Aber damit ist offenbar Schluss: Erstens hat Flaschenpost 1000 Elektrobullis angeschafft und ein „intelligentes Lastenmanagement“ implementiert – was zwar super nach „Nachhaltigkeit“ klingt, aber die Logistik einschränkt. Das Auto nimmt immer nur so viele Kästen mit, wie Du nachbestellst. Deine 14 Kästen Party-Leergut wirst Du also nie wieder los. (Jedenfalls nicht mit Flaschenpost).

Zweitens wurde mancherorts das Sortiment erweitert – was zwar nach mehr Service klingt, aber die Logistik verlangsamt. Manches ist nicht lieferbar, das andere erst später. Unter anderem deshalb wird das versprochene Zwei-Stunden-Limit zumindest bei unseren Bestellungen in Düsseldorf immer wieder überschritten. Klar: Wir bekommen dann einen Gutschein. Danke auch. Nur: Wir wollten kein gebrochenes Versprechen plus Gutschein irgendwann, wir wollten Wasser um vier.

Mit schlechtem Service in die Bedeutungslosigkeit

Ich finde, das ist ein ganz großartiges Beispiel für drei ganz grundlegende Business-Fehler. So grundlegend, dass man sich fragt, warum sie immer wieder passieren:

  1. Versprechen gebrochen: Flink und Flaschenpost haben das Geschäftsmodell verlassen, für das man eigentlich bei ihnen Kunde geworden ist.
  2. Kundenfokus verloren: Flink und Flaschenpost denken die Prozesse offensichtlich von innen nach außen und nicht vom Kunden her. Das mag aus Kostenmanagement-Sicht kurzfristig logisch erscheinen – aber: Langfristig zufriedene Kunden sind kein Nice-to-have, sondern der Kern eines Geschäftsmodells, das mehr sein will als ein Strohfeuer.
  3. Falsch gerechnet: Klar lassen sich Kosten drücken, indem man minimale Löhne zahlt, indem man Produkte teurer macht, bei Kühlketten oder Mindesthaltbarkeit ein Auge zudrückt, Aufpreise für bestimmte Lieferfenster verlangt oder Kosten und Risiken an Franchisenehmer auslagert. Doch welcher Fahrer wechselt dann nicht bei der ersten Gelegenheit zur Konkurrenz? Und welcher Kunde akzeptiert langfristig teurere Qualität, die zu spät kommt?

Es ist ein Märchen. Aber kein schönes.

Nein, so funktioniert das nicht. Eine realitätsferne Gründervision ist am Markt wenig wert, eine super Idee, die verwässert wird, ist ein zahnloser Tiger, und ein leeres Versprechen an Investoren zählt nicht. Was zählt, sind zukunftsfähige Geschäftsmodelle und funktionierende Prozesse. Was zählt, sind Klarheit und Mitarbeitende, die sich mit Herzblut engagieren und vor allem überzeugte Kundinnen und Kunden!

Wenn Flink und Flaschenpost jetzt noch durchhalten, dann nicht wegen ihres „Service“, sondern weil sie in ihrer Quick-Commerce-Nische keine Fressfeinde mehr haben. Nein, Wunder passieren hier aktuell gerade nicht. Aber eigentlich ist es doch wie im Märchen: Wer verspricht, Stroh zu Gold spinnen zu können, zerreißt sich am Ende selbst.

Bildquelle: nanihta / photocase.de