Vom großen Glück, ein Gastfreund zu sein
Ja, es gibt sie noch: Die Menschen, die ihren Job mit Hingabe erledigen. Menschen, die mitdenken. Rainer ist so ein Mensch. Er ist Maler und kommt derzeit jeden Tag, um in dem Haus, in dem meine neue Wohnung ist, zu streichen. Sie ahnen es schon: Das Haus war bei meinem Einzug hinten und vorne noch nicht fertig, und so habe ich jeden Tag viele Handwerker um mich.
An einem Samstagvormittag, als ich meine Küche einräumte und Rainer parallel dazu den Fensterbänken ihren letzten Schliff gab, unterhielten wir uns über Handwerkskunst und „Billig-Handwerk“. Er erzählte mir, dass es früher auf jeder Baustelle erst mal einen Kaffee gab, und mit dem gemeinsamen Kaffee eine gemeinsame Ebene. Sie kennen mich: Eine solche Geschichte muss man mir nicht zwei Mal erzählen. „Sobald die Kaffeemaschine und ich hier wohnen“, versprach ich direkt, „bekommen Sie von mir auch Ihren Kaffee.“ Seit ich eingezogen bin, koche ich also für Rainer (schwarz und ohne Zucker) und seine Kollegin Anne (mit Milch und Zucker) am Morgen je einen schönen, großen Pott Kaffee. Beide arbeiten genau dann immer „zufällig“ in der Nähe meiner Wohnungstür und sind dankbar. Und ich schmunzle zufrieden.
Schon ist die gemeinsame Ebene da
Als ich heute früh zu ihrem dritten Kollegen Veitel sagte: „Ah, Sie sind ja auch wieder mal da“, entgegnete der verblüfft: „Ich war doch nur vier Tag weg!“ Darauf ich: „Aber ich habe Sie schon vermisst!“ Und er: „Das hat mir schon lange niemand mehr gesagt.“ Schon war die gemeinsame Ebene da.
Warum fällt uns heute oft so schwer, diese gemeinsame Ebene herzustellen? Ich meine, es hat etwas mit Gastfreundschaft zu tun. Hierzulande dauert es ohnehin schon lange, bis das Eis zwischen Fremden schmilzt. Seit Corona dauert es noch länger. Wissen Sie, was Besucher aus dem Ausland an der Gastfreundschaft der Deutschen schätzten? „Wenn sie einen einladen und bewirten, dann ist das ganz ernst gemeint“, sagt der mexikanische Deutschlandfunk-Korrespondent Yaotzin Botello. So ernst, dass daraus richtige Freundschaften entstehen können. Freundschaften, die ein Leben lang halten. (https://www.deutschlandfunkkultur.de/typisch-deutsch-gastfreundschaft-die-deutschen-sind-sehr.2857.de.html?dram:article_id=388244)
Gastfreund sein – ich meine, das ist eine Stärke, auf die wir uns wieder zurückbesinnen sollten. Nicht nur in Deutschland, auch in meiner ursprünglichen Heimat Österreich und in der benachbarten Schweiz. Dazu braucht es nur wenige Zutaten:
- Höflichkeit: Sympathische Umgangsformen beinhalten schon in ihren Äußerlichkeiten die gute Idee der Gastfreundschaft – und helfen uns dabei, diese Idee zu verinnerlichen. Im Moment sind wir überall dabei, neue und pandemieverträgliche Formen der Höflichkeit zu erfinden. Ich meine: Das ist die Chance, auch unsere Gastfreundschaft neu zu entdecken.
- Großherzigkeit: Spontan von Herzen gerne schenken, das ist Großherzigkeit. Dabei muss das Geschenk nicht irre groß sein: Bieten wir frischen Kaffee, Milch und Zucker an, statt lauwarmem Wasser aus dem Wasserhahn, haben wir unser eigenes, engherziges Ego schon mit dieser kleinen Geste viel größer gemacht, und viel freier.
- Zugewandtheit: Freundliche Worte, offene Fragen, ein kleiner Flirt – die Haltung der Zugewandtheit hilft uns, den anderen einfach so zu akzeptieren, wie er ist. Das wiederum macht es uns leichter, auch uns selbst leichter zu ertragen, wenn uns der Stress einmal wieder narrisch macht.
- Humor: Je schwieriger die Zeiten, desto eher lassen sie sich gemeinsam ertragen. Und gemeinsam erträgt man sich besser mit Humor. Humor schafft Abstand zwischen uns und unserem zermürbenden Talent, jeden Tag anders zu scheitern. Humor entlastet, erleichtert und verbindet.
Was aus der Summe dieser vier Zutaten entsteht? Herrliche Menschmomente! Menschmomente sind einfache, kleine Rituale, die im Alltag einen großen Unterschied machen. Für den Gast genauso wie für den Gastfreund – oder die Gastfreundin.
Ich sage: Gastfreund sein macht nicht nur den Gast dankbar, sondern auch uns selbst glücklich – und jeden Tag ein bisschen größer. Und je gastfreundlicher ich werde, desto mehr liebe ich das Leben und die Menschen, die es mit Lachen füllen, mit Glücksmomenten und… mit wunderschön frisch geweißten Wänden.
Für wen möchten Sie heute Gastfreund sein?
P.S. Halten Sie Ihre Menschmomente fest – mit dem Menschmomente Tagebuch: https://sabinehuebner.de/books/menschmomente/
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Ja, in der Tat liebe Frau Hübner,
genau das ist es! Denn, ob die Menschen es glauben wollen oder nicht, ein Gastfreund zu sein, lässt uns wachsen und stärkt unser Selbstbewusstsein!
In Zeiten von Whats App, Facebook, Instagramm etc., verliert das gemeinsame Miteinander in der „realen Welt“ zunehmend an Bedeutung. Viele haben es verlernt sich auf Augenhöhe zu begegnen.
Auch bei mir gibt es immer einen Kaffee, wenn ich Handwerker im Haus habe. Wenn ich eine Information am Telefon benötige, sei es im Call-Center bei der Krankenkasse oder eines Herstellers, so spreche ich die Dame oder den Herren immer mit seinem Namen an. Auch in anderen Situationen, wie beispielweise die Arzthelferin bei meinem Hausarzt. Das nennt man Wertschätzung! Allein durch diese kleinen Gesten, bin ich schon oft bevorzugt behandelt worden. Denn Wertschätzung schafft Wertschöpfung.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten diese Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen.
Herzlichste Grüße
Ihr Fan
Kai Zimmermann
Vielen Dank für Ihre so treffenden und anerkennenden Zeilen, das machen wir auf jeden Fall, lieber Herr Zimmermann. Herzliche Grüße aus Düsseldorf, Sabine Hübner