Service ist eine Haltung
Wie sich Service vom „Irgendwas-mit-Menschen“ zum wichtigsten Strategiethema gewandelt hat, warum mir Kellner Toni nie aus dem Kopf geht – und alles letztendlich eine Frage der Haltung ist. Eine Zwischenbilanz.
Vor 25 Jahren saß ich mit Freunden in einem kleinen Hotelrestaurant am Arlberg. Ein junger Kellner schob sich an unseren Tisch, zog Notizblock und Stift hervor, hob die Augenbrauen, senkte den Blick und sagte etwas, das in etwa so klang, als saufe ein Auto an der Ampel ab. „Bitte? Was!?“ fragte meine Freundin nach, halb höflich, halb entsetzt. Darauf er, mit dem überlauten Charme eines Laienschauspielers: „Ich! Bin! Der! Toni! Und! Bediene Sie! Heute! Hier!“ Er wurde rot vor Scham, wir vor Fremdscham. Und bei mir machte es einmal mehr: Klick – so geht´s nicht!
Service, der auf auswendig gelernte Sätze setzt, geht am Menschen vorbei. Das funktioniert nicht. Nicht für den Kunden, der als Mensch gesehen werden will (statt als Goldesel). Und auch nicht für den Menschen, der Service leisten soll – und der sich mit seinem Charme, mit seiner Persönlichkeit, auch mit seinem Dialekt einbringen möchte (und nicht als Roboter).
Service lebt eben nicht von Skripts, die von außen aufgedrückt werden. Service ist Haltung. Und die kommt von innen. Und wenn Service dann wirklich von Herzen kommt, springt auch der Funke über. Wenn nicht, bleibt’s bei Fremdscham, Langeweile, OMG…
Dieser Gedanke hat mich seitdem begleitet – als Service-Expertin durch Mystery Shopping mit versteckter Kamera, durch Workshops, Coachings, Keynotes. Und als Kundin durch sehr viele herzerfrischend wunderbare (und grottenschlechte) Service-Erlebnisse.
Von der Hilfskraft-Schulung zum Strategiethema Nr. 1
Um das Jahr 2000 war mit „Serviceoptimierung“ Nachhilfeunterricht für die Mitarbeitenden der dritten und vierten Reihe gemeint, also die Kräfte auf und hinter der Bühne – falls man überhaupt darüber nachdachte. Heute ist Service DAS Strategiethema schlechthin.
Wer hier die Nase vorn hat, dominiert den gesamten Markt. Paradebeispiele sind globale Player wie Amazon, Apple, Uber. Aber auch europäische Anbieter wie der Finanzdienstleister Klarna, der Facility Manager Wisag oder die Techniker Krankenkasse.
Im Idealfall zieht sich Service-Haltung wie eine Lebensader durchs ganze Unternehmen. Und das verändert alles: Jede Leistungskette, jede Prozesskette wird von außen nach innen aufgefädelt. Vom Kunden her gedacht, gefühlt, gehandelt:
- Was steckt hinter seinen Wünschen und Bedürfnissen?
- Wie, wo und wann sucht er nach Lösungen?
- Welche Erfahrungen und Begegnungen berühren sein Kundenherz?
Und dann wird von innen nach außen optimiert: Schnittstellen, Prozesse, Wertschöpfungsketten.
Viele Unternehmen haben das verstanden. Service ist heute ein Wirtschaftsfaktor, ein strategisches Thema – das längst nicht mehr in die staubigen Räume der Trainingsabteilung abgeschoben wird.
Mit meiner Agentur forwardservice arbeiten wir heute mit Vorständen, mit Organisationsentwicklern, mit Menschen, die etwas gestalten wollen. Das wäre vor 25 Jahren undenkbar gewesen. Damals war Service ein Add-on. Heute ist Service die DNA.
Haltung ist das, was bleibt, auch wenn niemand hinschaut
Was bedeutet Haltung? Für mich: gelebte Werte. Das, was bleibt, wenn niemand hinschaut.
Eine schöne Geschichte dazu habe ich erst kürzlich bei den Ruhrfestspielen wiederentdeckt: Im eisigen Nachkriegswinter 1946/47 versorgten Bergarbeiter aus Recklinghausen notleidende Theaterleute aus Hamburg mit Kohle. Buchstäblich, damit sie ihre Bühnen heizen und arbeiten konnten. Zum Dank brachten die Hamburger im Sommer ihre Theaterstücke nach Recklinghausen zurück – und begründeten so die Ruhrfestspiele. Heute eines der wichtigsten Theaterfestivals in Europa. Kunst gegen Kohle, ein Tausch auf Augenhöhe.
Das ist für mich Haltung im besten Sinn. Haltung hat das Potenzial, neue Welten zu schaffen: Erfahrungswelten, Begegnungswelten, Welten, in denen Neues entsteht.
Service ist Kunst der leisen Töne
Und trotzdem spielt genau der Service, der uns begeistert, der uns zu treuen Kundinnen und Kunden macht, mit leisen Tönen.
- „Wie wir Ihr Ersatzteil besorgt haben“ – ist ein leises Angebot.
- „Wir lösen Probleme mit Ihrer IT, Ihren Finanzen, Ihrer Gesundheit“ – auch das ist leise. Vielleicht zu leise.
In einer Gesellschaft, die immer lauter performt – Likes, Reels, digitale Selbstdarstellung – klingt Dienstleistung selten spektakulär. Eher: präzise, feinfühlig, menschlich. Und genau das macht sie heute wieder so besonders.
Gelingender Service ist besonders in einer Zeit, in der die Gesellschaft egoistischer wird. Der Ton rauer. Die Aufmerksamkeit richtet sich mehr und mehr auf die digitale Welt, die immer in unserer Hosentasche steckt – und immer weniger auf die Menschen um uns herum.
Egozentrik ist zur Grundhaltung geworden. Empathie zum Sonderfall.
Menschmomente sind ein Grundbedürfnis
An dieser Stelle wird Service gesellschaftlich relevant: Denn Service bedeutet Verbindung. Begegnung. Kontakt. Der Mensch ist ein Rudeltier. Das Miteinander ist ihm ein Grundbedürfnis. Und wer im Kundenkontakt steht, kann dazu beitragen – jeden Tag. Jede Begrüßung hat das Potenzial für einen dieser besonderen Momente, die ich Menschmomente nenne. Klingt banal? Ist es auch. So sehr, dass es zu oft vergessen wird.
Ich erinnere mich an ein Projekt mit einem großen Unternehmen in Österreich. Einer der Standortleiter sagte zu Beginn: „Frau Hübner, unsere Kunden sind so anstrengend.“
Wir haben dann mit dem Allereinfachsten begonnen: begrüßen, lächeln, bewusst Resonanz herstellen zum Kundenherz. Als ich Wochen später wiederkam, sagte er: „Frau Hübner, seit Sie da waren, sind unsere Kunden ganz anders geworden.“ Kein Witz!
Dass seine eigenen Mitarbeiter den Hebel umgelegt hatten, hatte er nicht verstanden.
Der wichtigste Schlüssel heißt Resonanz
Dabei ist das der wichtigste Schlüssel: Resonanz. Menschen, die erleben, dass ihr Verhalten beim Anderen ankommt, dass sie beim Gegenüber ein Lächeln, ein Glücksgefühl hervorrufen können – diese Menschen verändern sich selbst.
- Weil das Erleben der eigenen Wirkung guttut.
- Im besten Fall entsteht daraus Freude. Und aus Freude entsteht Lust auf Service.
- Ein positiver Kreislauf der Selbstwirksamkeit – mit messbarer Wirkung auf das Geschäftsergebnis.
Natürlich ist vieles komplexer geworden. Services werden an Kunden delegiert, Prozesse sind oft kompliziert, und nicht immer passt der Schlüssel ins Schloss.
Aber vieles ist auch besser geworden: Wir haben gelernt, wie man digitale Schnittstellen gestaltet. Und wo man sie lieber weglässt.
Wir haben gelernt, dass Service kein Zufall ist, sondern das Ergebnis von klugem Service-Design, von durchdachten Prozessen. Und dass Service nur dann begeistert, wenn Menschen ihn wirklich, ehrlich, authentisch mittragen. Mit Kopf. Mit Herz. Und eben: mit Haltung.
Kundenfeedback ist der beste Servicebooster
25 Jahre sind vergangen. Und vieles ist in Bewegung. Service ist heute nicht nur ein Thema für Hotlines, Ladenflächen und junge Tonis zwischen Mitarbeitertrotz und Kellner-Lampenfieber.
Es ist eine Haltung, die durch alle Ebenen wirkt – digital oder persönlich. Nein, nicht „oder“. Die Service-Zukunft wird selbstverständlich beides brauchen: künstliche Intelligenz UND natürliche. Digitale Prozesse UND menschliche Empathie.
Und dazu diese eine Spur Überraschung, die eine übliche Dienstleistung in den spritzigen Service verwandelt, der Schönheit in unseren Alltag bringt, Leichtigkeit – ganz einfach: Leben!
Danke für unzählige wunderbare gemeinsame Bühnenmomente.
Ja, endlich: Service ist erwachsen geworden. Wirksam geworden. Sichtbar geworden.
Lassen Sie uns anstoßen – auf 25 Jahre Service mit Haltung.
Cheers!