Wenn Service-Wissen verschwindet
Was meine Oma über Service wusste, ist längst vergessen. Was Boomer wissen, verschwindet jetzt auch. Warum das gar nicht so schlimm ist – und vielleicht sogar richtig gut.
Meine Leidenschaft für Service ist eng verbunden mit den Frühstückseiern meiner Großmutter: Sie war es, die unsere Familienpension im Salzkammergut führte und sie war es auch, die genau wusste, welcher Gast sein Frühstücksei wie gekocht haben wollte. Weich, wachsweich, hart… sie wusste das alles auswendig. Natürlich wusste sie auch die Lieblingskuchen jeder Urlaubsfamilie, sie wusste um jedes Detail der traditionellen Umgangsformen einer österreichischen Gastgeberin. Wie gesagt: alles auswendig. Mit ihrer Generation ist eine Menge dieses schönen Wissens verschwunden.
Und kaum ist gefühlt nur ein Augenblick vergangen, bin ich selbst in einer Rolle, die mit der meiner Großmutter vergleichbar ist. Etliche meiner Mitarbeiter sind so jung, dass sie meine Kinder oder sogar Enkel sein könnten. Und etliches, was mir rund um Umgangsformen, Stilfragen und Businesswissen selbstverständlich scheint, ist es für sie nicht zwingend. Dafür essen sie souverän mit Stäbchen, beherrschen die Umgangsformen auf jeglicher Social Media Plattform und sind bestens vertraut mit den Tücken jüngeren Datums, wie etwa dem Gendersternchen.
Wissen braucht Vielfalt, um lebendig zu bleiben
Nun frage ich mich: Woher können wir „Boomer“ wissen, was aus unserem Wissensfundus für die nächsten Generationen relevant sein könnte? Was lohnt es, weiterzutragen und vielleicht sogar neu zu beleben? Oder braucht es das überhaupt nicht?
„Wissen lässt sich nicht portionieren, es hängt an den Strukturen, in denen es gewachsen ist, und den Praktiken, die es vollziehen“, hat der Jenaer Wissenschaftshistoriker Prof. Olaf Breidbach einmal geschrieben. Und: „Lebendig ist es nur in dieser Vielfalt.“ Und weil Wissen nicht Information sei, sondern interpretierte Information, und weil Interpretation nur in einer offenen Ordnung möglich sei, brauche es eben Offenheit. Wissen wandelt sich.
Seit es elektronisch gesteuerte Eierkocher und Verwaltungsprogramme für Gästevorlieben gibt, braucht niemand mehr auswendig zu wissen, dass Frau Schmidt ihr Ei hart essen möchte und Herr Müller seins weich. Mit der Technik haben sich die „Praktiken“ geändert. Geblieben aber ist die Idee dahinter: dass jedes Mal ein kleiner Menschmoment passiert, wenn es gelingt, einen Kundenwunsch zu erfüllen. Und sei der noch so klein wie ein Frühstücksei. Was das jetzt für Service heißt?
Was bleibt, ist die Haltung
Es muss nicht jeder kleine Service-Wissensbaustein konserviert werden. Viel wichtiger ist die Haltung, die dahintersteht. Und die muss auch nicht konserviert werden, sondern gelebt. Wenn alles gut geht, verschwindet Service-Wissen dann auch gar nicht. Es verändert sich lediglich, während das bleibt, was zählt: Empathie, Zugewandtheit, Menschlichkeit.
Dafür sollten wir „Boomer“ uns stark machen. Das ist viel wichtiger als irgendwelche Details aus dem Gastgeber-Knigge. Wie sehen Sie das?
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Liebe Sabine,
in der inhaltlichen Aussage bin ich vollkommen bei Dir. Doch ich spüre in mir eine starke Verweigerungshaltung beim Wort „Boomer“. Weil es von jungen Menschen gerne als „Schimpfwort“ für „die Älteren“ verwendet wird, die in ihren Augen sehr eingefahren und veränderungsunflexibel sind. Es verurteilt Menschen, die mitten im Leben stehen, schon viel zu früh ins Rentenalter der Unverbesserlichen.
Deswegen bereitet mir dieser Text Bauchzwicken. Wäre es nicht auch ohne dieses verurteilende „Boomer“ (immerhin in Anführungsstriche gesetzt ;-)) gegangen?
Ich bin sehr dafür, dass die Generationen miteinander im Gespräch und aktiven Austausch sind und bleiben. Denn nur so kann eine Zukunft für alle gelingen.
Wenn die jungen Menschen uns „abstempeln“, auch wenn wir mit 50 noch mindestens satte 17 Jahre im Arbeitsleben bleiben sollen (und oft auch müssen), dann sollten wir uns nicht auch noch selbst unter diesen Stempel stellen.
Auch junge Menschen möchten nicht unter den „Generation Y, Z oder A-Generalverdacht“ gestellt werden. Unter ihnen gibt es unfassbar viele Ausprägungen. Die Bezeichnung wird da als „Beschreibung von häufiger vorhandenen Merkmalen und Verhaltensweisen“ genutzt, doch nicht als Schimpfwort. Und sie ist eben , wie bei den „Boomern“ auch nur auf einen (oft kleinen) Teil der Generation wirklich zutreffend.
Ich wünsche mir, dass wir uns in der Kommunikation auf Augenhöhe verhalten. Damit keine Fronten aufgebaut werden, wo keine sind oder sein sollten. Danke, dass es in Anführungsstrichen steht. Doch noch wohler hätte ich mit einer anderen Wortwahl gefühlt.
Ja, das mag jetzt für Dich „albern“ klingen. Du schüttelst jetzt vielleicht den Kopf und denkst: „Kann die sich bitte über was anderes aufregen?“
Dann akzeptiere bitte die Tatsache, dass ich mir die Mühe gemacht habe, das zu schreiben. Als Zeichen dafür, wie tief die innere Bewegung ob dieses Begriffs sitzt. Ein Begriff, der in meiner Welt Gräben schafft, statt Wege zum Miteinander. Doch Letztere wünsche ich mir…
Mit kollegialem Gruß
Bettina
Liebe Bettina, schön von Dir zu hören. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie unterschiedlich jeder Sprache empfindet. Ich empfinde „Boomer“ gar nicht negativ. Genauso wie ich XYZ einfach als den Versuch einer „Beschreibung“ sehe, um die von Dir sehr richtig beschriebene Individualität einer Generation etwas anfassbarer zu machen. Im Kern gilt immer: jeder Mensch ist ein Individuum und besonders, egal ob Boomer, X, Y oder Z. Gleichwohl gibt es immer ein paar Schnittmengen, die eine Generation auszeichnen oder besonders prägen. Gestern Abend habe ich mir „Bohemian Rhapsody“ und die zugehörige Dokumentation angesehen und heute mit meinen Mitarbeitern (alles XYZ) darüber gesprochen. Sie können mit dieser Zeit gar nichts mehr anfangen, so wie ich mit manchen Dingen aus ihren Welten wenig anfangen kann. Also reden wir darüber miteinander – fast jeden Tag. Das ist mein Anspruch als Chefin – das Gespräch, die Neugier, das Verständnis und die Debatte zu fördern. Du triffst also zu 100 % den Nagel auf den Kopf, wenn Du Dir ein Miteinander wünschst. Das tue ich auch. Liebe Grüße, Sabine
Sehr gut formuliert: Treffend und das Fazit tut der Welt gut
Vielen Dank, Herr Laely und herzliche Grüße, Sabine Hübner
Ihrer Großmutter gebührt Bewunderung und Respekt für diese persönliche Leistung und bemerkenswerte Professionalität. Es definiert ihr Verständnis von Gastkultur. Wenn das Wissen ums Frühstücksei aus einer Datenbank stammt, erreicht die Geste den Tisch ein paar Grad kühler. Meine Verblüffung und Freude darüber, dass sie meine Vorliebe so wichtig fand, dass sie sie sich eingeprägt hat – das ist das eigentliche und nachhaltige Erlebnis. Das ist etwas Besonderes. Ein weiteres perfektes Frühstücksei ist dagegen am Ende nur ein Häkchen auf der Liste.
In der Live-Begegnung spürt man, wenn eine besondere Serviceleistung aus einer persönlichen Motivation und Bemühung entspringt. Ich erlebe sie authentisch, spüre die Liebe zum Gast und den Stolz auf das Metier.
Ja, persönliche Gesten sind immer ganz besonders, liebe Frau Slansky. Gleichwohl glaube ich fest, dass die persönliche Begegnung oder Geste mit digitaler Unterstützung im Hintergrund auch sehr, sehr warmherzig sein kann. Immerhin hat sich dann ja jemand die Mühe gemacht, meine Vorliebe festzuhalten. Liebe Grüße, Sabine Hübner