Anders als gedacht! Empathie und Vorannahmen

„Dein Empathie-Buch wurde heute geliefert :-)“; schreibt mir Ben mit Smiley aus unserem Büro, während ich den zweiten Tag in Südostasien auf der Suche nach neuen Gedanken und Ideen bin.

Knapp daneben ist auch vorbei

Gleich in der ersten Yoga-Stunde holt es mich dann selbst ein: das Thema „Vorannahmen“. Ich betrete mit Mew, der zierlichen Lehrerin, den Pavillon und lege mich brav auf die Matte. In diesem Moment landet im Sturzflug ein riesiges, schmetterlingsähnliches Tier auf meinem Oberschenkel und zappelt schließlich auf seinem Rücken. Ich rufe erschrocken (um nicht zu sagen, leicht hysterisch) und laut „Huchch“ und drehe es dann vorsichtigst um. Mew lacht „He welcomes you“. Als er dann zielsicher auf ihr Bein flattert, macht sie einfach entspannt mit dem Yoga-Unterricht weiter. Ich lache innerlich über mich selbst: so unterschiedlich können Blickwinkel sein. Am gleichen Tag lerne ich die sympathische Daniela aus Nürnberg kennen. Sie war um die halbe Welt geflogen, um ihrem runden Geburtstag zu entfliehen, die beste Freundin hat sie mit eingepackt. Zuhause führen sie und ihr Mann ein Handwerksunternehmen für Wintergärten. Zielsicher frage ich: „Bist Du bei Deinem Mann ins Geschäft eingestiegen?“ Sie antwortet lächelnd „Nein, er bei mir.“ Bums – falsche Vorannahme.

Neugierig auf´s Leben? Umso besser!

Jedes Erlebnis beeinflusst unsere Vorannahmen, damit in der Folge unsere Empathiefähigkeit und unser Handeln. Jedes Geschehnis gleichen wir mit unseren eigenen Erlebnissen und Vorstellungen ab. Strukturen, die zu unseren Erfahrungen passen, nehmen wir eher an als die, die uns fremd sind.

Mir fällt das jedes Mal besonders auf, wenn ich mit Kollegen oder meinem Geschäftspartner Carsten aus einem Meeting komme und wir kurz im Auto unsere Eindrücke durchgehen. Der eine empfand eine Frage als interessiert, der andere als kritisch. Der eine bewertet ein „Wir brauchen noch bis Mitte September Zeit“ als eine gute Perspektive, der andere als ein höfliches Nein. Manchmal frage ich mich: „Saßen wir im gleichen Meeting?“ So unterschiedlich fallen unsere Wahrnehmungen aus. Meistens liegt die Ursache in unseren individuellen Vorannahmen.

Alle diese Beispiele zeigen: nur, wenn wir nicht in den eigenen irrationalen Gedanken, in den eigenen Gefühlen und unbefriedigten Bedürfnissen verstrickt sind, können wir unser Gegenüber unvoreingenommen wahrnehmen. Es geht hier um einen ganz wichtigen Punkt: Wer andere Menschen besser wahrnehmen möchte, muss auch lernen, sich selbst besser wahrzunehmen. Anders gesagt: Empathie mit anderen funktioniert nur auf der Grundlage von Selbst-Empathie!

Vorannahmen machen uns das Leben leichter

Ungeprüfte Vorannahmen hingegen sind die meistverbreiteten Fallstricke in unserer Begegnung mit anderen Menschen. Unsere Vorannahmen basieren auf Verallgemeinerungen. Die Crux ist, sie strengen viel weniger an, als unvoreingenommen an eine Situation heranzugehen. Wenn wir Sachverhalte unvoreingenommen betrachten und damit einhergehend neu bewerten wollen, setzt das voraus, dass wir Situationen überhaupt aus unterschiedlichen Ebenen betrachten können und wollen. Unvoreingenommenheit gelingt dann, wenn wir Kontraste kennen oder kennenlernen wollen – die (mindestens) beiden Seiten der Medaille. Wenn der Narzisst bereit ist, seinen Turm zu verlassen und sich mit Themen tiefer und vielseitiger auseinander zusetzen als über einen Onepager. Wenn wir nach zig Erfahrungen mit einer Situation ihr trotzdem eine neue Chance geben.

Ein verquerter Blick

Die eigene Wahrnehmung ist fehleranfällig. Nur, wenn man sie mit dem Erleben des Gegenübers abgleicht, indem man über das spricht, was man wahrgenommen hat, öffnen sich neue Handlungsmöglichkeiten. Und nicht durch Vermutungen und Interpretationen. Das bedeutet allerdings Arbeit. Ich bin aber fest davon überzeugt, diese Arbeit lohnt sich. Für jeden von uns. Weil wir respektvoller miteinander umgehen und besser entscheiden – auf jeder Ebene.

Im Moment kursiert gerade die ein oder andere These, Empathie im Miteinander sei wenig hilfreich bei Entscheidungen, überbewertet, in der Führung sogar kontraproduktiv. Ich teile das nicht und sehe in diesen Darstellungen Empathie falsch verstanden: Empathie bedeutet ja eben gerade nicht, in Mitgefühl aufzugehen. Die Kunst des empathischen Handelns liegt darin, sich auf eine Situation empathisch einzulassen und gleichzeitig zu wissen, wann man einen „Einfühlzustand“ wieder verlassen muss, um eine gesunde Distanz zu bewahren und eine gute Entscheidung zu treffen.

Vielleicht könnten die „4 Stufen der Empathie“ also auch die „4 Stufen der Unvoreingenommenheit“ heißen, denke ich gerade beim Schreiben. Wie auch immer… Wenn Sie Freude haben, sich mit einigen dieser Gedanken 30 Minuten lang auseinanderzusetzen, lesen Sie rein in mein neues Büchlein 30 Minuten Empathie. Ab jetzt bei uns bestellbar für 8,90 EUR je Exemplar.

Albert Einstein sagte einmal „Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen viele Begegnungen mit unvoreingenommenen und empathischen Menschen.

Ihre
Sabine Hübner