Mehr Serviceglück mit KVP?

Montagabend passierte mir ein Missgeschick. Ich kam am Flughafen an, hatte noch viel Zeit und checkte in Seelenruhe meinen Koffer ein. Plötzlich sagte die sympathische Mitarbeiterin während unseres Small Talks etwas geschockt. „Lassen Sie mich bitte konzentrieren, ich habe nur noch eine Minute.“ Ich wusste gar nicht, wovon sie spricht. Und plötzlich verstand ich; Ich hatte mich in der Abflugzeit geirrt und war nicht zu früh, sondern viel zu spät. Aber sie schaffte es noch, den Koffer aufzugeben, und ich rannte zum Gate. Leider zum falschen. Als ich schließlich keuchend beim richtigen ankam, sagte die Mitarbeiterin emotionslos „Der Flug ist geschlossen. Ich habe Sie ausgecheckt, weil Sie kein Gepäck hatten.“ Ich wedelte verzweifelt mit dem Gepäckabschnitt und sagte „Doch, ich habe Gepäck aufgegeben!“ Sie hatte auch einen Fehler gemacht, und ihr System nicht upgedatet. Das Flugzeug stand noch auf seiner Außenposition. Schließlich darf es mit Koffer ohne Passagier nicht fliegen. Und jetzt kam der entscheidende Moment: Koffer ausladen oder Fluggast hinfahren. Sie entschied sich für die sichere Variante: Koffer ausladen. Ich wartete 50 Minuten auf meinen Koffer und erwischte somit auch den nächsten Flug nicht mehr. Gefühl für Momentum? Null! Gefühl für Serviceglück? Null!

Ja, wenn ich etwas Mutiges für den Kunden tue, dann können Fehler passieren. Wenn ich nichts tue, dann passieren keine Fehler.“ Sobald ein Unternehmen jeden Fehler als persönliches Versagen eines Mitarbeiters abstraft, entsteht diese Haltung. Fehler werden vertuscht, Dienst nach Vorschrift erledigt. Leistungsbereitschaft: Null. Inspiration: Null. Serviceglück: Auch null.

Als Rettungsanker aus diesem circulus vitiosus gilt bei vielen Unternehmen heute die Formel KVP – kurz für „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“. Dieser Prozess läuft immer ähnlich ab: Zuerst kommt auf den Tisch, was genau verbessert werden soll. Das wird beschrieben, bewertet, bemessen und auf Herz und Nieren geprüft, es werden Lösungsideen entwickelt, schließlich umgesetzt und dann der Erfolg gemessen. Klingt ja gut.

Servicekultur ist kein Uhrwerk

Aber: Was diese im Prinzip doch sehr mechanische Vorgehensweise ausklammert, ist die Zeitachse. Das Momentum. Und damit verbunden das emotionale Potential einer Situation. Einmal angenommen, einem Mitarbeiter im technischen Kundendienst passiert ein peinlicher Fehler: Er reist zum Beispiel 200 Kilometer zum Kunden, vergisst aber ein entscheidendes Ersatzteil in der Werkstatt. „Oh nein, wie peinlich!

KVP schließt dieses „Oh nein!“ nicht mit ein. Nach der KVP-Logik würde es jetzt gelten, zwischen persönlichem und sachlichen Fehler, zwischen extern und intern erkannten Fehlern zu unterscheiden, Wurzelursachen zu entdecken, Ziele zu definieren, einen Idealzustand zu entwerfen. Ein logisches Vorgehen – ja. Das aber das Situationspotential völlig ungenutzt lässt, weil es jegliche Emotion ausklammert.

Ein fehlendes Ersatzteil vor Ort bringt für den Mitarbeiter eine Fülle reichlich unangenehmer Gefühle, Scham wahrscheinlich, vielleicht sogar Angst. Und auf Kundenseite? Ist man not amused. Natürlich nicht! Ärger und Frust sind angesagt, schlimmstenfalls klingt eine Spur Verachtung mit („Wie kann man nur… !?“) Wer diesen brisanten Mix an Emotionen mit der Logik eines Uhrmachers bearbeiten will, der bringt vielleicht die Mechanik der Kundenbeziehung wieder in Schwung, nicht aber das Vertrauen zurück. Und erst recht kein Serviceglücksgefühl.

Krisen ermöglichen Kompetenzentwicklung

In jeder Krise – und auch ein vergessenes Ersatzteil ist eine kleine Krise – stehen unsere eigenen Werte auf dem Prüfstand. In jeder Krise entwickeln wir unsere Kompetenzen weiter. Allerdings nur dann, wenn wir diese Krise als ganze Person reflektieren. Also nicht nur mit dem Schraubenzieher bearbeiten, sondern auch auf der Ebene der Emotionen, auch auf der Ebene der Werte. Das gelingt eben nicht mit einem KVP-Formblatt, das gelingt nur im Dialog. Und zwar am besten dann, wenn das Situationspotential da ist. Wenn die Emotionen noch spürbar sind.

Haltungsarbeit ist Identitätsarbeit. Identitätsarbeit kann zu einer besseren Identifikation mit den Werten und Zielen des Unternehmens führen. Und eine Identifikation mit dem „Why?“ ist die Grundlage für die Bereitschaft eines Mitarbeiters, im Job mehr zu geben als nur das absolut Notwendige: Mehr Konzentration, eine differenziertere Wahrnehmung im Kunden-dialog, mehr Kreativität in der Problemlösung und mehr Mut, für den Kunden auch einmal ungewöhnliche Wege zu gehen. Insgesamt also: mehr Empathie. Es ist genau dieses „mehr“, das den Unterschied macht. Serviceglück lebt von diesem „mehr“.

Serviceglück ist auch das Ergebnis perfekter Prozesse, vor allem aber ist es die Folge einer besonderen Service-Haltung. Wenn wir also Serviceglück für den Kunden wollen, müssen wir Verbesserungsprozesse, Momentum und Kompetenzentwicklung zusammenzudenken.

Servicekultur funktioniert nicht wie ein Uhrwerk, das hin und wieder zur Reparatur muss. Servicekultur braucht Haltung, und Haltung wächst entlang reflektierter Krisen entlang der Zeitachse. Dem typischen KVP-Blick entgeht das Momentum einer Situation, weil sich Momentum mit KVP-Methoden nicht messen lässt. Es ist aber trotzdem da und höchst wirksam.

Wenn wir unsere Kunden mit Service beglücken wollen, tun wir also gut daran, den Faktor Zeit bewusst einzubeziehen. Neugierig, wie das geht? Dann schauen Sie in mein neues Buch: „Serviceglück: Mit magischen Momenten mitten ins Kundenherz“. Gerade bei Campus erschienen!

Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit mit vielen glücklichen Servicemomenten!

Ihre Sabine Hübner

(Bild: knallgrün / photocase.de)