ASAP ist keine Serviceformel

Ein neues Auto kauft man nicht alle Tage – und so war ich beseelt, als ich mich nach vielen Jahren wieder mal für ein Cabrio entschied. Es wurde mir für den Frühsommer 2016 versprochen, und ich freute mich schon riesig. Doch als der Liefertermin gekommen war, hieß das noch lange nicht, dass auch mein Auto gekommen wäre. Es kam nicht. Auf meine Nachfragen folgte die Aussage: „Liefertermin unbekannt. Vielleicht im August“. Es kam auch im August nicht. Kommunikation: Schweigekloster. Zum Glück konnte ich auf eines unserer Pool-Fahrzeuge zurückgreifen. Als im Herbst die Blätter fielen, da fiel es auch meinem Verkäufer ein, dass da immer noch jemand auf sein Auto wartet: Ich. Eine Kundin. Also eine derjenigen, die den Betrieb von Autohäusern überhaupt erst ermöglichen.

Natürlich kann es immer sein, dass sich etwas verzögert. Doch es kann nicht sein, dass sich bei vier Monaten Verzögerung niemand meldet: Der Hersteller nicht und der Verkäufer nicht. Kein Wort der Entschuldigung, von niemandem. Immerhin: Als das Auto Mitte Oktober endlich da war, kündigte man mir as soon as possible eine Überraschung an. Und tatsächlich kam ASAP ein recht aufwändiges Paket hinterher. Neugierig packte ich es aus und fand… vier Ventilkappen! Ich war sprachlos. Was sollte ich denn mit vier Ventilklappen anfangen? Genauso hätte man mir fünf Tachonadeln schicken können oder sechs Meter Kabel. Ich überlegte kurz, die Ventilklappen zurückzuschicken. ASAP.

Der Kunde liebt das Richtige im rechten Moment

Heute handeln wir oft nach dem Motto: „Eigentlich egal, um was es geht. Hauptsache, es geht echt schnell.“ Viele Ideen werden nicht zu Ende gedacht und lieber ASAP einfach mal umgesetzt. Fühlt sich busy an, weil ganz viel passiert. Was aber noch lange nicht heißt, dass dieses Viele auch für den Kunden relevant ist. ASAP ist allzu oft nichts weiter als leerer Aktionismus. So wird Service in hektischer Raserei haarscharf am staunenden Kunden vorbei direkt an die Wand gefahren.

Warum passiert das überhaupt? Weil wir vergessen haben, wie viele unterschiedliche Facetten das Thema Zeit mit sich bringt. Im Service heißt Zeit eben nicht immer „schnell“, Zeit kann auch „pünktlich“ heißen oder „im rechten Moment“. Vor allem braucht Service eine sinnvolle Richtung, um überhaupt beim Kunden anzukommen.

Wir haben vergessen, was die alten Griechen noch wussten. Sie nannten die verschiedenen Aspekte der Zeit Chronos und Kairos, das Ziel nannten sie Telos. Ja, das klingt heute nach very old school, genau das bringt uns aber jetzt einen entscheidenden Schritt weiter.

„Just in time“ heißt pünktlich

Chronos: Hier geht es um die Uhr. Just in time. Relevant sind smarte Prozesse, hohes Tempo und kurze Wartzeiten, sinnvolle Sequenzen und das Vermeiden unsinniger Wiederholungen. Je besser dieser Aspekt von einem Unternehmen in Service umgesetzt wird, desto höher die Produktivität des Kunden. Wenn dieser Aspekt nicht funktioniert und irgendwo ein Dichtungsring fehlt, wird ein Auto eben nicht rechtzeitig fertig.

„Le temps juste“ meint den richtigen Moment

Kairos: Dieser Aspekt zielt auf le temps juste. Den richtigen Moment, der sich nicht immer planen lässt, dem man oft auch nicht auf den ersten Blick ansieht, was in ihm steckt. Jeder Kunde erlebt entscheidende Augenblicke individuell, reagiert auf Überraschung und Pause, erinnert sich an Momentum und Wow!, freut sich auf Rituale und über gelungene Improvisation. Je besser ein Unternehmen diesen Aspekt in Service überträgt, desto intensiver wird das positive Erleben des Kunden. Wenn aber ein Unternehmen im entscheidenden Augenblick auf Tauchstation geht, statt eine professionelle und empathische Service-Kommunikation zu starten, dann wird eine riesige Chance verpasst.

Warum das Timing so wichtig ist, beschreibt der französische Philosoph Francois Jullien: „Denn die Gelegenheit ist jenes Zusammentreffen des Handelns und der Zeit, das bewirkt, dass der Augenblick plötzlich zu einer Chance wird, dass die Zeit also günstig ist (…), um Erfolg zu haben.“ Das heißt umgekehrt: Service-Bemühungen und sogar Service-Rituale zum falschen Zeitpunkt, ohne günstige Gelegenheit, sind Energieverschwendung. Solcher Service kann keine Wirksamkeit entfalten. Sparen wir uns das doch.

Das „Wozu?“ weist den Weg

Aber was genau ist nun eine günstige Gelegenheit? Die Antwort darauf hängt entscheidend ab vom „Wozu?“. Also vom Ziel des Handelns. Damit sind wir beim dritten Begriff: Telos. Das kann die Fertigstellung eines Auftrags sein, das kann eine messbare Erfolgsquote sein oder auch ganz allgemein: Serviceglück für den Kunden.

Um einen entscheidenden Augenblick für eine beglückende Service-Begegnung zu erkennen, brauchen wir alle drei Faktoren: Eine sinnvolle Projektorganisation (Chronos), einen Sinn für gute Zeitpunkte (Kairos) und ein übergeordnetes Ziel (Telos). Fehlt nur ein Element, wird das nichts mit dem Serviceglück.

Und das wird dann auch später nichts mehr: Wenn ich heute zufällig an „meinem“ Autohaus vorbeifahre, schüttele ich immer noch den Kopf über vier Monate Kommunikationsdefizit, vier völlig sinnlose Ventilklappen und vier ganz falsch verstandene Buchstaben: ASAP…

Ich wünsche Ihnen in dieser Woche von Herzen Servicemomente im genau richtigen Moment!

Ihre Sabine Hübner

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(Bild: cydonna / photocase.de)