Gipfel der Ignoranz
Dass man Kunden nicht sinnlos warten lässt, lernt jeder Azubi. Eigentlich. Doch was ich kürzlich in einem Autohaus mit einem Brandmanager erlebte, war ein Albtraum…
Im Sommerurlaub hatte ich endlich die Muße, ein neues Mobilitätskonzept zu recherchieren. Ergebnis: Car-Sharing funktioniert für mich leider noch nicht. Ich brauche doch ein neues Auto, aber ein kompakteres als bisher. Ein besonderes Modell kommt mir in den Sinn: Ich bin mit einem kultigen englischen Kleinwagen aufgewachsen, verbinde unzählige schöne Erinnerungen damit und habe eine große Affinität zur Marke.
Also los: Ich konfiguriere auf der Webseite ein wunderschönes Modell, bekomme eine Empfehlung, bei welchem Brandmanager ich meine Bestellung aufgeben kann und schreibe vorfreudig: „Ich komme am Freitag von meinem Afrika Urlaub nach Hause. Hätten Sie am Samstag zwischen 14 und 15 Uhr Zeit für die Bestellung? Machen Sie mir bitte ein Angebot. Herzliche Grüße.“
Kurz darauf die Antwort: „14 Uhr passt wunderbar! Ich bin da!“ Das Angebot passte auch.
Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass dieser Brandmanager unter „Ich bin da!“ etwas vollkommen anderes versteht als ich.
Am Samstag jedenfalls betrete ich um Punkt 14 Uhr den Schauraum.
„Hallo Frau Hübner“, ruft mir mein Ansprechpartner zu, „schauen Sie sich bitte ein wenig um, ich habe noch zwei Kunden da.“
Ich schaue. Ich schaue Autos an. Ich schaue der Brandmanager-Performance zu. Nun ja: Er beherrscht seinen Job. Aber meine Rolle hat er offenbar nicht verstanden. Ich bin nicht gekommen, um stundenlang ihn zu bewundern, sondern um ganz kurz ein Auto zu bestellen, das ich mir – virtuell – bereits fertig konfiguriert hatte. Nach mehr als einer halben Stunde sinnlosem Warten rausche ich absolutely not amused aus dem Autohaus. Viel, viel später, ich bin längst Kilometer entfernt bei einem anderen Termin, ruft mich der Brandmanager an:
„Hallo Frau Hübner! Ich bin jetzt fertig.“
„Ich bin jetzt auch fertig. Mit Ihnen! Wir hatten einen Termin!“
Das wäre der Moment der Wahrheit gewesen, um noch mal alles zu retten. Er nutzte ihn nicht.
„Wie stellen Sie sich denn das vor? Wir sind ein Ladengeschäft!“
„Ich stelle es mir so vor, dass Sie, wenn Sie mit mir einen Termin vereinbaren, diesen Termin einhalten!“
Diesen Satz habe ich zuletzt zu einem Auszubildenden gesagt. Ich erspare Ihnen das weitere Gespräch und komme gleich zum Fazit: Potenzialqualität auf der Hersteller-Webseite: super. Digitale Prozessqualität: sehr gut. Potenzialqualität im Schauraum: alles richtig gemacht. Begegnungsqualität vor Ort: ein einziger Albtraum!
Es liegt auf der Hand: Wenn die Begegnungsqualität vor Ort nach einer exzellenten Prozess- und Potenzialqualität so miserabel ist, dann verzichte ich gerne darauf. Dann ist es mir lieber, wenn es auf der Webseite einen Knopf gibt, auf den ich ganz einfach drücken und sagen kann: „Jetzt bestellen.“
Warum ich trotz dieses Albtraums meinen Wagen dort bestellt habe? Weil die junge Kollegin des Brandmanagers alles rausriss und die Marke insgesamt viel mehr richtig macht, als ein einziger Brandmanager falsch machen kann. Und wenn’s in ein paar Jahren mit dem Mobilitätskonzept klappt, ist die Ära dieser Sorte Brandmanager sowieso vorbei.
Bildquelle: kallejipp/ Photocase
Liebe Frau Hübner,
mit Ihrem Beitrag aus der Automobilbranche sprechen sie mir so aus der Seele!
Ich kann mich auch noch sehr gut an meinen letzten Besuch im Autohaus erinnern. Mein Leasingvertrag wird bald auslaufen und ich interessierte mich für zwei Fahrzeuge, die meine beruflichen Ansprüchen erfüllen sollten. Als Fachreferent habe ich immer viel Equipment dabei und das muss alles in den Kofferraum passen. Also hat der Kofferraum- neben der Marke natürlich, bei der Auswahl des Fahrzeugs oberste Priorität. Es waren zu diesem Zeitpunkt im Verkaufsraum vier Verkäufer anwesend, die gesehen haben, dass ich stark interessiert war. Kofferraum auf, Kofferraum zu, Tür auf, Tür zu, Einsteigen, Aussteigen- das ganze Programm, was man so als Kunde macht! Ich habe alle Verkäufer beobachtet, womit sie aktuell beschäftigt waren. Und glauben sie mir, jeder hätte seine Arbeit ruhen lassen können, um mit mir ein Beratungsgespräch zu führen. Ergebnis: Ich wurde nicht mal eines Blickes gewürdigt. Aufmerksamkeit, wenn ein Kunde das Geschäft betritt gleich Null von allen Beteiligten!
Diese nachlassende Aufmerksamkeit von Verkäufern beschäftigt mich schon seit einigen Jahren und ich bin derzeit dabei zu ergründen, womit das zusammenhängt. Was ist das für ein Denkprozess der bei Verkäufern abläuft, wenn ein Kunde das Geschäft betritt?
Herzlichste Grüße
Ihr
Kai Zimmermann
Lieber Herr Zimmermann,
Danke für Ihren Beitrag. Ja, es gibt noch viel zu tun… Der Denkprozess sollte sein: „Es ist mir ein echtes Anliegen, für meinen Kunden das richtige Angebot zu finden und einen besonderen Menschmoment zu schaffen…“ Dafür stehe ich jeden Tag gerne auf.
Herzliche Grüße und eine schöne Vorweihnachtszeit für Sie
Sabine Hübner