Jeder ist ersetzbar. Wirklich?

Man sagt: Jeder Mensch ist ersetzbar. Ich habe viel darüber nachgedacht und glaube nicht, dass das richtig ist. Die Arbeit eines Menschen ist vielleicht ersetzbar, aber der Mensch, der ist es nicht.

Melissa kam am Beginn der Pandemie zu uns ins forwardservice-Team. Sie ist ein echtes „Minnesota-Girl“, klug, streitbar, engagiert und eigeninitiativ. Wir führten glühende politische Diskussionen, rauften uns die Haare, als es so aussah, dass Joe Biden 2020 die Wahl verlieren könnte. Melissa ließ uns das echte Thanksgiving erleben und führte uns aus erster Hand in die Unterschiede der amerikanischen und deutschen Kultur ein. Im Gegenzug dafür, dass sie sich jeden Tag mit den Tücken der deutschen Sprache abmühte, führten wir einen English spoken Wednesday ein, in dem sie natürlich sprachlich brillierte. Und und und…

Jedes Team formiert sich mit den Menschen, die darin zusammenarbeiten. Jeder Mensch, der ein Team verlässt, hinterlässt eine Lücke. Wenn er nicht mehr da ist, dann ist es nicht mehr das gleiche Team. Was dann passiert, kann entweder konstruktiv gestaltet werden – oder eine destruktive Eigendynamik entwickeln.

Ein guter Abschied passiert nicht von allein

Konstruktiv mit dem Abschied eines Teammitglieds umgehen, das heißt: Miteinander reden. Gedanken teilen, die noch geteilt werden wollen. Danke sagen. Abschied feiern. Und traurig sein dürfen. Das braucht einen Rahmen, vielleicht sogar ein Ritual.

Destruktiv mit dem Abschied eines liebgewonnen Menschen im Team umgehen, das heißt: Schweigen. Tür zu. Weiter machen. Verbindungen abschneiden, statt sie behutsam aufzudröseln.

Was dann passiert: Ein Teil des Teams bewältigt den Schock durch Hirngespinste. „Der stand schon lange auf der Abschussliste.“ „Die konnte uns nie leiden.“ „Der war sowieso arrogant.“ „Die geht jetzt mit unserer Expertise zur Konkurrenz.“ Was bleibt, sind Angst, Misstrauen, Kränkung.

Ein anderer Teil des Teams löst sich innerlich nicht, erlebt das „verschwundene“ Teammitglied stillschweigend weiter als Teil des WIR. So bleibt eine Tür immer offenstehen – für die Weiterentwicklung eines Teams und einen neuen Spirit ist das keine gute Nachricht.

Vergänglichkeit ist Lebendigkeit

„Um jemanden gut gehen lassen zu können, muss man innerlich Abschied nehmen, sonst bleibt man hängen oder alle werden gleich austauschbar, was dann sekundär den Zusammenhalt im Team schwächt“, erklärt der Münchner Psychologe Klaus Eidenschink. Und die große Verhüllungs-Künstlerin Jeanne-Claude Christo sagt: „Der Feind der Freiheit ist Besitz und Dauer. Vergänglichkeit erzeugt Liebe und Zärtlichkeit.“ So ist es. Es löst sich alles immer wieder auf. Es formiert sich alles immer wieder neu. Ein permanentes „weiter so“ gibt es nicht. Ist eine Illusion.

Wie sehen Sie das?

Herzlich,

Ihre Sabine Hübner

 

P.S.: Seit November setzt sich Melissa für Kinder im Nahen Osten ein. Wir haben wundervoll zusammengearbeitet, gemeinsam gelernt, miteinander gelacht. Ich sage Dir von Herzen Danke, liebe Melissa Ballard, und bin gespannt, wohin Dein Weg Dich führt. Du bist uns immer willkommen.