Wanted: Wholeheartedness

Bewegung ist Leben – und Leben ist Bewegung. Sonnenklar! Warum benehmen sich Patienten und Klientinnen, Kunden und Geschäftspartnerinnen dann oft trotzdem wie Beton? Und was können wir tun, damit sich endlich was bewegt? Die Antwort eines US-amerikanischen Philosophen wird Sie möglicherweise irritieren….

Viel Servicefrust für wenig Geld – so empfinden etliche PhysiotherapeutInnen ihre Arbeit. Einer meiner Freundinnen ging es viele Jahre lang so. Sie fand ihre Arbeit anstrengend und war enttäuscht, dass Ihre PatientInnen ihre Übungen nicht oder halbherzig umsetzten. Sie war so unzufrieden mit ihrem Beruf, dass sie ihn schon hinwerfen wollte. Aber dann dachte sie nochmal gründlich nach: Warum hatte sie die Ausbildung begonnen? Warum war sie so überzeugt davon, dass Bewegung Leben ist, und Leben Bewegung? Warum gelang es ihr trotz allem immer wieder, einen blockierten Nacken zu lösen, Schlaganfallpatienten wieder mobil zu machen oder Rückenschmerzen zum Verschwinden zu bringen?

Dann machte es klick. Sie hatte ihr „Warum?“ wiedergefunden, und es fiel ihr wieder leicht, ihre Patienten in ihrer ganzen wunderlichen und wunderschönen Menschlichkeit zu spüren. Ganz gleich, wie sie zu Hause üben – oder eben nicht üben. Sie hatte ihre Haltung geändert. Und kürzlich erzählte sie mir, dass ihr Job ihr jetzt wieder Freude macht. Dass sie Glück daraus schöpft, wenn es ihr gelingt, dass jemand sich besser bewegen kann oder keine Schmerzen mehr hat. Ich merke diese Haltungsänderung in jeder Muskelfaser, wenn sie mir die Achillessehne knetet, und ich mag es unheimlich. Sie hat eine super Waage gefunden zwischen Caring und Professionalität.

Begegnungsqualität: Kundenliebe ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung

Was ist da passiert? Vielleicht lässt es sich mit einem Gedankengang des US-amerikanischen Philosophen Harry G. Frankfurt (*1929) erklären. Frankfurt lehrte bis 2002 an der Princeton University, auf Deutsch erschien bei Suhrkamp sein Text „Gründe der Liebe“ (2005).

Wir brauchen Ziele“, schreibt Frankfurt, „von denen wir glauben, es lohne sich einzig um ihrer selbst und nicht um anderer Dinge willen, sie zu erreichen.“ Leider gehen wir uns an dieser Stelle schnell selbst auf den Leim. Wenn wir uns als Ziel etwa „mehr Patienten ohne Rückenschmerzen“ setzen, dann wollen wir damit oft eigentlich etwas ganz anderes erreichen: Anerkennung und Erfolg. Was uns hier antreibt, ist unser Ehrgeiz, und der kennt keine Grenze. Deshalb stellt sich hier bei vielen erfolgreichen Menschen nie das Gefühl ein: „Jetzt ist es gut.“ Es bleibt ein Gefühl der Sinnlosigkeit.

Anders sieht es aus, wenn wir uns dazu entscheiden, für einen anderen Menschen Sorge zu tragen. Bei Harry G. Frankfurt heißt das „to care for“ – leider gibt es kein schönes Wort im Deutschen dafür, das nicht gleich nach Sorgenfalten klingt. Leben wir „to care for“ ohne Hintergedanken oder Eigeninteresse, dann kommt es zu einem Resonanzerleben und dann stellt sich das Gefühl ein: „Das ist gut. Das ist sinnvoll. Das gibt mir Orientierung.“ Wenn wir jemandem unser eigenes Potenzial zur Verfügung stellen, um dessen Potenzial zu vergrößern, fühlen wir uns lebendig.

Kundenbindung durch exzellenten Service verbessern

Und jetzt kommt der ungewöhnliche Gedanke daran: Grundlage für dieses „to care for“ ist nicht ein spontanes Gefühl, sondern eine willentliche Entscheidung. Und noch ein ungewöhnlicher Gedanke: Grundlage für meine Liebe ist nicht der Wert meines Gegenübers. Sondern umgekehrt: Der Wert meines Gegenübers entsteht für mich durch meine Liebe.

Können wir das auf Service übertragen? Ich meine: Ja. Auch Kundenliebe ist eine Entscheidung. Ich stelle meinen KundInnen mein Potenzial zur Verfügung, und sie nehmen davon an, was sie mögen oder können. That’s it. Mein eigener Wert ist unabhängig davon, ob Herr Schmidt zu Hause 50 Liegestützen macht oder zwölf, oder ob Frau Müller 20 Mal zum Schwimmen geht oder drei Mal oder gar nicht. Ich gebe meinen Service, weil ich es gerne tue. Wie mein Gegenüber meinen Service annimmt, ist seine Verantwortung – nicht meine. Das zu verstehen, ist eine Frage der Haltungsentwicklung. Und deshalb, so meine ich, kann jeder Servicehaltung lernen – der will. Ich hätte dazu einige Ideen.

Empowerment von Mitarbeitern

Kundenliebe ist eine Haltung: Ist es wirklich so einfach? Kurze Antwort: Ja. Lange Antwort: Natürlich kennt jeder von uns dieses verflixte Gefühl, dass Mitarbeitende exzellenten Service leisten wollen, aber es trotzdem nicht gebacken kriegen. Hier kommt neben dem Wollen das Können ins Spiel.

  • Service braucht Fachkompetenz, und auch die kann man lernen – zum Beispiel hier.
  • Es kommen außerdem kluge Serviceprozesse ins Spiel – denn wo es kein gelungenes Service-Design gibt, kann Service kein schönes Erlebnis sein. Für KundInnen nicht, und für MitarbeiterInnen auch nicht. Gute Nachricht: Hier können Organisationen lernen, worauf es ankommt.
  • Und es braucht Mut. Eine gewisse Entschlossenheit, die Harry G. Frankfurt an anderer Stelle „wholeheartedness“ nennt. Wieder ein wunderbares Wort und eine wunderbare Haltung, die sich mit Service Empowerment ein wenig größer machen lässt.

Klar: Harry G. Frankfurt ist Philosoph und kein Personalentwickler und erst recht kein Ökonom. Mit Kundenliebe allein hat noch kein Unternehmen Umsatz gemacht – aber ohne Kundenliebe eben auch nicht. Es braucht alles in der richtigen Balance: Leidenschaft für den Beruf und Umsatz, Professionalität und Caring. Wenn das gelingt, macht Service Kunden glücklich und – als hoch erwünschte Nebenwirkung – Unternehmen erfolgreich.

Beim Finden Ihrer persönlichen Balance wünsche ich Ihnen viel Erfolg!

Ihre

Sabine Hübner

Bildquelle: photocase / ohneski