Menschmomente. Ganz ohne Insta.

Warum Digital Detox nur dann etwas bringt, wenn wir der Gockelfalle entkommen und Begegnungsqualität neu entdecken

Der Akku leer und keine Steckdose in der Lobby. Zum Glück haben sich Hotels auf den chronischen Datendurst der Geschäftsreisenden längst eingestellt: Strom gibt’s zur Not immer an der Rezeption. Schweren Herzens reiche ich mein Smartphone über den Tresen – und begebe mich ohne Telefon in mein Kundengespräch. Gefühlte drei Minuten später sucht meine Hand nach dem Gerät. Nichts. „Ach ja – es ist ja beim Laden.“ Nach weiteren fünf Minuten: Griff ins Leere. Bewusst lasse ich mein Smartphone bis zum Mittag an der Rezeption liegen. Fazit: Meine Hand sucht wieder und wieder in der Tasche. 20 Mal mindestens. Vielleicht sogar 50 Mal – ich habe irgendwann nicht mehr mitgezählt…

Kennen Sie das Phänomen? Was ist das? Ein Fall von Digital Intoxication? Oder heute ganz normal? Ich denke: Beides.

Der Griff zum Smartphone – eine Übersprungshandlung?

Einerseits ist es ja wahr: Wir verbringen unfassbar viel Zeit mit unseren digitalen Geräten. So viel, dass Apple seinen Nutzern die neue Funktion „Screen Time“ ins Smartphone gebaut hat. Mit detaillierten Informationen darüber, wie viel Zeit wir mit unseren Apps und Webseiten verbringen, wie oft wir das Gerät aus der Tasche gezogen und was wir dann damit angestellt haben. Zugegeben: Als ich meine ersten Auswertungen gelesen habe, war ich nicht amüsiert. Und Sie?

Andererseits: Wir haben zwar gelernt, mit elektronischen Geräten zu hantieren und rund um den Erdball zu kommunizieren. Aber unsere Verhaltensmuster sind immer noch ziemlich steinzeitmäßig. Wir fühlen uns angegriffen? Fight, flight, freeze. Wir haben Hunger? Grrrr… Wir sind unschlüssig? Auch dann läuft ein uraltes Programm ab: Haare ordnen, Brille zurechtschieben, Ohren zupfen, Nase reiben, Krümel wegwischen, Papiere sortieren. Und eben: aufs Smartphone schauen. Hat nichts mit Vergiftung zu tun. Ist ein tierisch normales Verhalten – heißt Übersprungshandlung.

Der Griff zum Smartphone ähnelt dem sinnlosen Picken ratloser Hähne – das ist das als Übersprungshandlung bekannte Phänomen. Es passiert, wenn kampfeslustige Hähne gerade nicht so recht wissen, ob sie angreifen sollen. Oder lieber doch nicht. Dann picken sie. Irgendwas. Es ist ihnen egal, ob Körner zu finden sind oder nur Steine. Sie tun es einfach. Vielleicht, um sich selbst zu sortieren? Genau wie wir, wenn wir Insta öffnen oder Facebook?

Schließen wir die Lücke zwischen analoger und digitaler Begegnungsqualität

Nun: Wenn wir schon zu Übersprungshandlungen neigen – könnten wir sie dann vielleicht anders füllen? Oder sogar zu echten Menschmomenten machen? Nach (oder statt!) Instagram-Wischen zum Beispiel: Lächeln. Jemanden anlächeln. Eine kleine Geste, ein großer Unterschied. So schenken wir uns und anderen einen Moment Begegnungsqualität. Digital Detox wäre automatisch dabei. Und sinnvoller wäre es auch. Wie heißt es so schön: „Busy is the new stupid.“

Und? Wo geben Sie Ihr Smartphone heute ab?
Ganz viele glückliche Begegnungen mit smarten Menschen wünscht Ihnen

Ihre Sabine Hübner

(Bild: David-W- / photocase.de)