Gummizelle für Wutkunden?

Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch – aber Brecheisen und Baseballschläger vermeide ich, wenn mein Drucker spinnt, meine Airline streikt oder mein Paketdienst schläft. Lieber reiße ich mich zusammen, atme durch. Und lese jetzt in der Wiener Zeitung: Muss ich gar nicht!

In Wien hat kürzlich ein „Wutraum“ seine Pforten geöffnet: Man bezahlt Eintritt, wird in Sicherheitskleidung gesteckt, bekommt Zertrümmerungswerkzeug, und dann geht’s los: Teller zerdeppern, Drucker zersplittern, Tastaturen zu Kleinteilen verarbeiten und Bildschirme an die Wand klatschen. Wer will, darf paarweise ausrasten. Und Musik kann man sich auch wünschen zum nachmittäglichen Remmidemmi – in Österreich sagen wir übrigens Ramasuri. Laut Wörterbuch: „Ausgelassenheit der Kinder bei Abwesenheit der Eltern.“

Erst Bildschirm an die Wand klatschen, dann Reklamation besprechen?

Die Wutraum-Idee kommt aus den USA. In Dallas hatte schon 2008 der erste Anger Room eröffnet – Gründerin war Donna Alexander, die – Ironie des Schicksals – Ende 2018 von ihrem Ex-Mann ermordet wurde, aber das ist eine andere Geschichte. Es folgten seit 2008 etliche Rage Rooms, Demolition Zones und Wreck-a-Rooms in den USA. In Halle ging 2014 Schlag dich Fit als erster europäischer Wutraum an den Start. Im Berliner Crash-Room darf man komplette Räume (Blumenstrauß! Fernseher!) zerstören, im Furyroom Paris sogar einen Executive-Event buchen, und seit April also in Wien: DestructionMaxx.

Zugegeben: Als ich die Meldung las, stellte ich mir rotgesichtige Wutkunden vor, die man zwanzig Minuten in der Gummizelle Bildschirme werfen lässt, bevor man in aller Ruhe die Reklamation bespricht. Wäre doch zu schön, wenn das funktionierte. Nur: Funktioniert das?

Am Ende gewinnt doch die Contenance

Um es gleich zu verraten: Nein. Denn die volkstümliche Vorstellung vom gesunden „Dampf ablassen“ ist ein Irrtum. Studien haben gezeigt, dass zornige Probanden nach dem Verprügeln eines Box-Sacks noch wütender und aggressiver waren als die ärgerlichen Teilnehmer einer Kontrollgruppe, die einfach gar nichts taten. „Dampf ablassen, um Wut zu reduzieren, ist, als würde man ein Feuer mit Benzin löschen“, bringt der US-amerikanische Psychologe Brad Bushmann diesen Effekt auf den Punkt. Das ungefilterte Ablassen von Ärger und Wut kann sogar dazu führen, dass sich feindselige Gefühle noch verstärken. Und gesund ist die Wüterei auch nicht: Häufige Wutausbrüche können zu Bluthochdruck führen und das Herz krank machen.

Also lieber doch keine Desctruction-Zone für Wutkunden. Was aber dann? Was tun, wenn Kunden wüten – und ihre Wut auf die Mitarbeiter überspringt? Oder auf Sie selbst? Ich sage: Am besten kommen Sie da raus, indem Sie meine „Vier Stufen der Empathie“ auf sich selbst anwenden:

Runterkommen mit den 4 Stufen der Empathie

  1. Konzentration: Fokussieren Sie sich auf den Gedanken „Ich habe Gefühle, aber ich bin nicht meine Gefühle.“ Gehen Sie emotional einen Schritt zurück und schaffen Sie mit dem Kopf Abstand zu der Wut in ihrem Bauch.
  2. Wahrnehmung: Schalten Sie jetzt den Tunnelblick ab und zoomen Sie mit Distanz auf: Beobachten Sie Ihre eigenen Gedanken und Ihre Empfindungen aus der Weitwinkelperspektive – wie eine in der Zimmerecke montierte Kamera oder eine Fliege auf der Gardinenstange. Und beobachten Sie auch den Kunden aus dieser Distanz. Schon wirkt die Lage gar nicht mehr so bedrohlich… manchmal stattdessen: komisch!
  3. Kreativität: Tun Sie irgendetwas, um sich abzulenken: Bis 10 zählen, den Raum verlassen und 100 Treppenstufen laufen, 1000 alte E-Mails löschen, irgendwas vollkommen anderes. Am besten überlegen Sie sich jetzt schon eine kreative Methode – dann sind Sie für den Fall der Fälle gewappnet.
  4. Mut: „Nichts persönlich nehmen!“ Das ist leicht gesagt, braucht aber durchaus Mut. „Verzeihen – oder immerhin versuchen, zu verzeihen!“ Geht gar nicht, denkt man schnell. Geht aber doch. Und wirkt Wunder beim Runterkochen.

Viele Wuträume schließen schon nach kurzer Zeit wieder, so auch Schlag-dich-Fit in Halle. Die Anger Room-Szene hat möglicherweise selbst begriffen, dass Rage allein – so verlockend dies als Ventilsitte auch sein mag – überhaupt nichts bringt. Um Wut geht es denn auch gar nicht mehr nur in Berlin: Da darf man jetzt Farbe und Torten werfen. Ähnlich in Wien: „Du sollst Spaß haben und dich auspowern. Aggressives Verhalten hat mit unserem Spaßverständnis nichts zu tun“, zitiert die Wiener Zeitung den Gründer. Dort sollen bald Freunde via Bildschirm zuschauen und anfeuern können. Und das ist vielleicht der eigentliche Motor hinter der Sache: Brecheisen und Baseballschläger sorgen in Social Media für jede Menge Aufmerksamkeit. Immerhin.

Was lernen wir daraus? Service braucht keine Gummizellen, Service braucht Contenance. Ich sage:

Service ist Haltung.

Denn aus Haltung wächst Vertrauen. Und Vertrauen schafft Verbundenheit. Wut macht die Gräben nur tiefer und bringt im Miteinander niemandem etwas. Also atmen wir weiter durch und bringen das Brecheisen zurück in den Keller.

Viel Erfolg beim Runterkommen wünscht Ihnen

Ihre Sabine Hübner

 

Quellen:

Die Wiener Zeitung über Destruction Maxx: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/panorama/wien/2002851-Wiens-erster-Wutraum-laedt-zum-Austoben.html
Webseite DestructionMaxx Wien: https://www.maxx-e.com/destructionmaxx/wien21/
Webseite Furyroom Paris: https://www.furyroom.fr/
Webseite Crash Room Berlin: https://crash-room.de/
Ende Anger Room Dallas: https://www.msn.com/en-us/news/crime/woman-who-opened-anger-room-as-safe-outlet-for-aggression-allegedly-murdered-by-ex-boyfriend/ar-BBOhTy3
Experten-Zitat Brad Bushmann: https://www.spektrum.de/news/emotionen-warum-werden-wir-wuetend/1558814

Bildquelle: PolaRocket / photocase.de