Service ist nicht Teller tragen

Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn jemand „IT“ sagt? Einen Rechner? Oder einen Server? So geht es wohl den meisten, obwohl IT ein Thema ist, das mittlerweile alle und alles durchdringt. Stichwort Digitalisierung. Und was sehen Sie, wenn jemand „Service“ sagt? Mitarbeiter mit Tellerstapel oder mit Tablett? Auch das geht wohl vielen so, verbunden mit jeder Menge entwertender Assoziationen. Denken Sie nur an Witze über Oberkellner, Butler und „Saftschubsen“…

Teller müssen noch immer getragen werden – Roboter kriegen das noch nicht hin – aber Service ist doch längst so viel mehr als das. Auch Service durchdringt alles und alle – es gibt nur kein gutes Wort dafür. Oder finden Sie „Tertialisierung“ griffig? Und statt einer knappen Definition gibt es nur langatmige Erklärungen rund um Kernleistung, Zusatzleistung, Kundendienst und, immerhin: Momente der besonderen Aufmerksamkeit. Was also ist Service? Ich sage:

Service ist vernetztes Handeln für den Kunden

Ikea Deutschland zum Beispiel – 100 Millionen Besucher in den deutschen Einrichtungshäusern, 18.000 Mitarbeiter, 5 Milliarden Euro Umsatz (2018) – betreibt im Hintergrund eine riesige Maschinerie von Entwurf über Produktion bis Logistik. Davon merke ich gar nichts, wenn ich dort eine Küche bestelle. Aber ich merke mir die herzerfrischende Begegnung mit einem Mitarbeiter, der mir spontan Süßigkeiten schenkt und empfinde diesen Moment als Serviceglück. Dabei ist dieser Serviceglückspunkt nur ein winziger Ausschnitt aus einem gigantischen Geflecht an vernetzt handelnden Menschen und Maschinen – allesamt ausgerichtet auf den Kunden. Auf mich.

Die Telekom AG – 43 Millionen Mobilfunkkunden, 216.000 Mitarbeiter, 74,9 Milliarden Euro Umsatz (2017) – betreibt im Hintergrund eine riesige Netzwerktechnologie. Auch das merke ich im Alltag nicht. Nur im Funkloch. Oder wenn sich der Techniker verspätet. Und deshalb empfinden Kunden dieses durch und durch auf Dienstleistung ausgerichtete Unternehmen, das sogar eines der besten Mobilfunknetze hierzulande bietet, paradoxerweise in diesen Augenblicken als nicht serviceorientiert.

Jeder Netzpunkt wirkt

Die Deutsche Post DHL Group – 10 Millionen registrierte Nutzer, 547.000 Mitarbeiter, 61,55 Milliarden Euro Umsatz (2018) – bietet „integrierte Dienstleistungen und auf Kunden zugeschnittene Lösungen für die Verarbeitung und den Transport von Waren und Informationen in einem globalen Marktumfeld“. So steht es auf www.dpdhl.com. Was ich als Kundin von dieser Maschinerie vor allem mitbekomme, sind die letzten, leider oft fehlenden Meter zu meiner Wohnungstür. Und so renne ich meinen Paketen in einer gestrigen Service-Line hinterher, obwohl das Unternehmen insgesamt – mit einer halben Million Mitarbeitern – eigentlich nichts anderes tun möchte, als vernetzt für den Kunden zu handeln. Also für mich.

Last but not least: Die WISAG Industrie Service Holding GmbH –  9.000 Kunden, 13.000 Mitarbeiter, 740 Millionen Euro Umsatz (2016) und nur einer von drei WISAG-Geschäftszweigen – arbeitet für den Endkunden unsichtbar Hand in Hand mit der Industrie. Es ist die WISAG, die die Maschinen der Lebensmittelindustrie von Zuckerkrusten befreit oder sich um die Arbeitssicherheit in der Hubschrauber-Montage kümmert, die Fußböden in den Produktionshallen verlegt und die Logistik organisiert. Damit sich die Industrie-Mitarbeiter auf das konzentrieren können, was ihr Kerngeschäft ist: Produzieren für den Kunden.

Wir leben in einer Welt, in der alles mit allem und jeder mit jedem vernetzt ist. In dieser vernetzten Welt nimmt jeder Punkt Einfluss auf das Kundenerlebnis: ob die Schraube passt, ob die Packung reißt, ob die Rechnung stimmt und jemand ans Telefon geht. Abstrakter gedacht: Das nützliche Dienstleistungsportfolio, die intelligenten Strukturen und Prozesse, die sympathischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – alles zahlt auf Service ein. Und deshalb ist es so sinnvoll, an dieser Stelle auf die Metaebene zu wechseln:

Service ist kein Projekt. Service ist eine Haltung.

Vernetztes Handeln für den Kunden funktioniert nur dann, wenn das gesamte Dienstleistungsportfolio, alle Strukturen und alle Prozesse auf den Kunden ausgerichtet sind, und außerdem jeder Mitarbeiter und jede Führungskraft über die eigene Bequemlichkeit und das eigene Ego hinausdenkt und für den Kunden aktiv wird. Schauen wir uns an, was das heißt:

  • Sinnvolles Dienstleistungs-Portfolio: Für den Kunden heißt, dass meine Services dem Kunden den genau richtigen Nutzen bringen. Das ist der Nutzen, der das Leben des Kunden sicherer, komfortabler, schöner oder schneller macht, der sein Business erfolgreicher werden lässt, der ihm ein gutes Gefühl gibt – und das alles zu einem vernünftigen Preis. Heißt umgekehrt: Wenn das Portfolio nutzlos ist und der Preis horrend, nützt die stärkste Mitarbeiter-Haltung nix.
  • Kundenorientierte Strukturen: Services konsequent bis zum Kunden denken und Strukturen entsprechend bauen – das ist erfolgsentscheidend. Denn Serviceglück springt nur dann über, wenn z.B. die Logistik-Servicekette eben nicht bei einem überforderten Kleinladenbesitzer endet, sondern beim Kunden. Und wenn auch der letzte Mitarbeiter in der vernetzten Kette noch Haltung zeigt.
  • Intelligente Prozesse: Ist es nicht Irrsinn, dass ein potenzieller Serviceglückspunkt vermasselt wird, nur weil der Techniker auf der Strecke bleibt? Es kommt darauf an, Prozesse auf den Kundennutzen hin zu optimieren statt nur auf die Kosten. Wenn Terminpläne zu eng gesteckt werden, klappt nix, dann sind die Mitarbeiter aus der Puste, der Kunde ist irgendwann weg, und dann nutzt die Mitarbeiter-Haltung wieder nix.
  • Freiraum für alle: Mitdenken, Empathie zeigen, die Extrameile gehen: Mitarbeiter mit Haltung brauchen Freiraum. Damit aus Haltung Handlung wird.

Leider ist das alles nicht selbstverständlich, vor allem in einem „Ingenieursland“ nicht, wo der Wandel weg vom Produkt- und Prozessfokus hin zu sympathischer und professioneller Dienstleistung besonders schwer fällt. Und es ist auch in einer Wirtschaftswelt nicht einfach, in der vernetztes Handeln häufig vielmehr auf eigene Boni, die eigene Reputation und die eigene Karriere ausgerichtet und gesteuert wird statt auf das, was der Kunde will.

Spätestens an dieser Stelle sehen wir, dass „Teller tragen“ mit Service nur noch sehr wenig zu tun hat. Und dass die Dimensionen des Themas hinein reichen bis in die Geschichte unseres Wirtschaftsstandorts und unserer Berufe, bis hin zu Fragen der Unternehmensstrategie und des Managements, Fragen der Mitarbeiterführung, der Mitarbeiterauswahl, der Persönlichkeitsentwicklung und der Ethik. Also denken wir größer:

Service ist vernetztes Handeln für den Kunden.
Und weil es auf jeden Netzpunkt ankommt,
braucht es Haltung. Überall. Immer.

Übrigens ist es auch eine Frage der Haltung, sich auch als Kunde respektvoll gegenüber Oberkellnern und Flugbegleiterinnen und allen anderen Servicehelden zu verhalten. Service ist keine Einbahnstraße…

Eine Woche mit lauter passenden Schrauben,
korrekt gelieferten Paketen,
100 Prozent stabiler Netzabdeckung
und ganz viel Serviceglück wünscht Ihnen von Herzen

Ihre Sabine Hübner

Bildquelle: Andreas Berheide / photocase.de