Holt die Lebensfreude in die Städte zurück!

Nach der Krise kommen Innenstädte zurück – mit neuen, coolen Konzepten. Doch es läuft nicht rund: den Cafés fehlt Personal, die Fahrradlieferdienste wachsen schneller, als sie radeln können und den Warenhäusern hängen 100 Jahre Geschichte wie ein Klotz am Bein. Warum die Innenstadt der Zukunft mehr Service braucht, mehr Digitalisierung und vor allem eine neue, dritte Zutat…

Das erste Übel der Post-Corona-Innenstadt ist schnell erzählt: Die Servicekräfte sind weg. „Allein bis Februar haben wir 130.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verloren“, sagt die Chefin des Branchenverbandes Dehoga, Ingrid Hartges. Wenn keiner Kaffee kocht, kann auch keiner Kaffee verkaufen – so bleiben viele der gerade frisch renovierten Cafés und Restaurants unfreiwillig zu. Auch Stadthotels stecken in Schwierigkeiten; in den Seitenstraßen bleiben die Clubs dunkel und manche Innenstadt sieht so unappetitlich aus wie ein Jahrmarkt nach der Sperrstunde. Immerhin: Ganz leer ist es nicht, seit immer mehr Lebensmittelbringer auf wuchtigen E-Bikes und bepackt mit riesigen Rucksäcken voller Milchtüten, Spaghetti und Bier durch die Straßen rauschen.

Die Stadt der Zukunft ist eine digitale Stadt

Der neue Quick-Commerce-Boom zeigt, dass Deutschland erstaunlich schnell von analog zu digital umdenken kann, wenn es nur will. Der Supermarkt der Zukunft muss nicht der noch heller ausgeleuchtete Plattenbau mit dem noch größeren Parkplatz sein – App geht auch. Und kommt gut an. Minutenschnelle Bringdienste wie Gorillas, Flink oder Getir wachsen jetzt vielerorts schneller, als sie radeln können. Das schindet zwar Eindruck bei Investoren – „Gorillas“ gilt als Einhorn – die Kunden aber nervt der Straßenkampf um Marktmacht. Denn der geht zu Lasten der Servicequalität und schlägt sich in vernichtenden App-Rezensionen nieder, die mich kein bisschen überraschen: Solange der Fokus der Schnellradler auf den Kampf gegen die eigenen Wettbewerber liegt statt voll auf Kundenbegeisterung, kann Quick Commerce nicht erfolgreich sein. Es braucht Begegnungsqualität. Warum muss quick immer dirty sein?

Die Stadt der Zukunft ist eine Servicestadt

Dirty… das Problem unserer Innenstädte. Dass die riesigen Warenhäuser, die unsere Einkaufsstraßen seit mehr als 100 Jahren dominieren, nun mit blinden Scheiben in der Gegend herumstehen, macht den Eindruck noch trostloser. Schon lange vor Corona lief es hier nicht mehr rund. Im Online-Handel ist Amazon längst Platzhirsch. Galeria Karstadt Kaufhof erwirtschaftet nur fünf Prozent des Umsatzes digital. Doch es gibt neue Lösungen.

„Wir wollen das vernetzte Herz der Innenstadt werden – und zwar mit Konzepten, die ganz genau auf den lokalen Standort abgestimmt sind“, erklärt Unternehmenschef Miguell Müllenbach. Geplant sind drei unterschiedliche Häuser-Kategorien: Weltstadthaus, regionaler Magnet und lokales Forum. In den Regionen will Galeria Karstadt Kaufhof Flächen für regionale Produkte freimachen, für städtische Bürgerdienste, für elektrische Fahrräder und – Achtung! – für Paketpost. Raoul Rossmann, dem geschäftsführenden Gesellschaft des Drogeriefilialisten Rossmann, rollen sich da die Nägel auf. Er fordert höhere Steuersätze für Onlinehändler und „Paketsteuern“, damit ihm der immens florierende Pakethandel nicht noch mehr Wasser abgräbt. Ist er mit dieser Forderung aus der Zeit gefallen? Oder retten wir unsere Innenstädte jetzt tatsächlich mit… weniger Paketen?

Die Stadt der Zukunft muss nachhaltig sein

Ich meine, die Frage ist falsch gestellt. Sie denkt aus der Perspektive des Unternehmens und nicht aus der Kundenperspektive. Was suchen wir denn in der Stadt? Zehnerpacks schwarze Socken suchen wir schon lange nicht mehr, und hundsnormale Standardprodukte aus dem Seifenregal zunehmend auch nicht. Was also dann? Meinen Beobachtungen nach schätzen Kundinnen und Kunden in der Stadt genau das, was sie im Unternehmen auch schätzen

  • Potenzialqualität: eine Vielfalt von Angeboten und Erlebnissen, von Kommerz bis Kultur
  • Prozessqualität: unkomplizierte Wege und effektive Abläufe ohne Wartezeiten
  • Begegnungsqualität: schöne Orte und Servicehaltung für unvergessliche Menschmomente

All das bieten unsere Innenstädte schon lange nicht mehr. Stattdessen das immergleiche Wareneinerlei, Chaos beim Parken und kaum ein Platz, der zum Verweilen einlädt. Dazu kommen die Extremwetter: Wer möchte bei 40 Grad abwechselnd in baumlosen Fußgängerzonen braten und in schlecht klimatisierten Warenhäusern frieren? Wer will mit seinem Auto bis zum Hals im Wasser stehen? Wir müssen hier komplett umdenken. Was es in Zukunft braucht, weiß Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er setzt darauf,

„dass man die Innenstadt unter dem Aspekt Hitze, Dürre, Frischluftschneisen anders gestaltet. Grünflächen, Wasserspringanlagen, eine Außengastronomie. (…) Wir haben ja bisher Häuser immer so gebaut, dass alle immer viel Licht und Sonne hatten. Jetzt müssen wir vielleicht eher darauf achten, dass die Gebäude sich gegenseitig verschatten, damit sich die Innenstadt nicht aufheizt. (…) Insofern glaube ich, die Innenstädte werden in zehn Jahren anders aussehen als heute.“

Schon heute ist klar – das hat eine McKinsey-Studie gezeigt – dass ein vernünftig organisierter Online-Handel für die CO2-Bilanz insgesamt besser sein kann als der Einzelhandel in der Innenstadt, zu dem jeder Kunde im eigenen Auto fährt. Und das ist der Grund, warum wir für die Innenstädte der Zukunft drei Zutaten brauchen:

  • Digitale Dienste – aber serviceorientiert
  • Service – aber digital vernetzt, und als dritten Punkt:
  • Nachhaltigkeit – für mehr Lebensqualität.

Nachhaltigkeit ist heute zukunftsentscheidend für die Gastronomie, für Hotellerie und Handelsunternehmen, die unsere leblosen Innenstädte jetzt in Orte für Menschmomente zurückverwandeln. Neue Konzepte – cool und climate-conscious – bringen Lebensfreude. Und die lockt auch unsere Service-Mitarbeitenden zurück in die Städte.

Auf bald, am liebsten persönlich in einem schönen Innenstadt-Café…

Ihre Sabine Hübner