Service Overload – warum mehr nicht immer mehr nützt

Es ist Mittagspause in einer Roadshow. Mein Vortrag ist nach dem Show-Act angesetzt, der die Teilnehmer aus dem Suppenkoma reißen soll. Die Technik ist eingerichtet. Ich gehe aus dem Saal, um mich noch einmal schick zu machen. Irgendwie wühle ich mich durch die über 600 Gäste, die fröhlich miteinander plaudern und halte nach den Waschräumen Ausschau. Wunderbar: plötzlich steht eine Service-Mitarbeiterin vor mir, und ich frage: „Können Sie mir bitte sagen, wo hier die Waschräume sind?“ Sie sieht mich verdutzt an, und ich dachte im ersten Moment, sie versteht Waschräume nicht und korrigiere mich „Ich meine die Toiletten“. Sie hat immer noch ein Fragezeichen im Gesicht und antwortet „Das weiß ich leider nicht.“ Natürlich ist mir bewusst, dass die Mitarbeiterin eine Aushilfe ist. Aber können Sie verstehen, dass vor eine Veranstaltung die Service-Mitarbeiter nicht gebrieft werden, um auf die entscheidenden Fragen der Gäste die richtige Antwort geben zu können? Ich nicht.

Als ich später meinen Mantel von der Garderobe hole, lese ich diese Aussage der Eventlocation. Zeugt es von einem „Prädikat Wertvoll“, über 1.000 Services anzupreisen? Können Mitarbeiter diese Vielzahl an Services überhaupt noch kennen, geschweige denn in einer hohen Qualität erbringen, wenn sie – ketzerisch gesprochen – dem Besucher nicht einmal den Weg zur Toilette wissen? Nein, mehr nützt nicht immer mehr.

Warum? Das Leben bewältigen heißt heute etwas völlig anderes als für die Generationen vor uns. Lehnten sich die Menschen in den 1950er und bis hinein in die 1970er Jahre noch gegen zu wenig Freiheit, zu enge Moralvorstellungen, zu wenig Wahlfreiheit auf, so haben wir heute die umgekehrte Situation: Nicht ein zu enges, soziales Korsett nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern eine geradezu absurde Zahl von Möglichkeiten – ganz gleich, ob es um die Wahl einer medizinischen Behandlung oder eines Toastbrots, eines tragbaren Kleincomputers oder einer Haftpflichtversicherung, einer Religion oder einer Einlegesohle geht. Innerhalb dieser „Zuvielfalt“ müssen wir uns zurechtfinden, entscheiden und zugleich selbst verwirklichen – am besten erfolgreich. Denn in einer Zeit, in der unser Geschick unserer Vorstellung nach nicht mehr von oben gelenkt wird – vom gnädigen Fürsten oder vom lieben Gott – sondern von uns selbst, gibt es niemanden mehr, den wir für unser Scheitern verantwortlich machen können.

So kommt es, dass jede Entscheidung als existenzielle Prüfung empfunden wird, dass Menschen sich orientierungslos, überfordert und erschöpft fühlen. Und so kommt es, dass Kunden sich von jedem Anbieter und am liebsten von jedem Produkt wünschen: „Sprich mit mir!“ Und genau hier setzt die „neue Servicelogik“ an: Exzellenter Service bedeutet nicht unbedingt „mehr“ Service und „mehr“ Kommunikation, sondern einen „genau richtigen“ Service samt Kommunikation.

So genießt es der eine Hotelgast, keine unnötige Zeit beim Frühstücken verschwenden zu müssen und dafür eine wunderbare Kaffeemaschine nebst kleinem Snack im Zimmer vorzufinden. Kommunikation mit dem Service-Mitarbeiter: Nein, danke! Wohingegen der Andere exzellenten Service in einem opulenten Frühstücksbuffet und einem freundlichen Small-Talk sieht. Ähnlich empfindet der Oldtimer-Fahrer eine Dialogannahme mit ausführlicher Erklärung als puren Luxus-Service, wohingegen der andere Autofahrer einen schwatzfreien Blitz-Besuch bevorzugt.

Zeit für das zu gewinnen, was wirklich wichtig ist, so lautet also der wahre „added value“ – im Bereich Business to Business ebenso wie im Bereich Business to Consumer. Die Konsequenz: Gewinner sind all diejenigen, die ihren Kunden helfen, die Ressource Zeit zu sparen. „Weniger ist mehr“ lautet die Devise. Untermauert wird diese These durch ein Feldexperiment der amerikanischen Forscher Iyengar und Lepper. Sie ließen Testpersonen in einem Supermarkt einkaufen und befüllten ein Regal einmal mit einer Auswahl von 24 und einmal nur mit 6 Konfitüren. Das Ergebnis: Zwar stieß das größere Sortiment zunächst auf größeres Interesse bei den Testkäufern, mehr gekauft aber wurde, wenn nur sechs Marmeladen zur Auswahl standen. Ganz offensichtlich unterstützte das übersichtliche Sortiment die Kaufentscheidung!

Nein: Die universelle Formel für Service und Kommunikation gibt es nicht. Beides muss heute so individuell sein, wie Menschen unterschiedlich leben, arbeiten und konsumieren. Aber eines ist sicher: Mehr nützt nicht unbedingt mehr.